Wilder als Hass, süsser als Liebe
es nicht überraschen, wenn die emotionalen Wunden länger zum Heilen brauchen als die körperlichen.«
Sie wollte ihn trösten, aber zu ihrem Entsetzen mußte sie spüren, wie ihre Worte ihre eigene zerbrechliche Selbstbeherrschung unterminierten. Als der Kummer sie überwältigte, senkte sie den Kopf, um vergeblich ihre Tränen zu verbergen.
Von seinem eigenen Elend abgelenkt, wandte sich lan besorgt zu ihr. »Was ist los, Juliet? Hat es etwas mit ROSS zu tun?«
»Er reist morgen früh nach England ab. Ich glaube nicht, daß wir uns jemals wiedersehen.« Sie wischte sich die Augenwinkel mit dem Ärmel ihres seidenen Kaftans ab und setzte dann hilflos hinzu: »0 lan, ich habe alles zu einer Katastrophe gemacht. Vor zwölf Jahren habe ich ROSS in einem Anfall zeitweiligen Irrsinns verlassen und dann einen Fehler nach dem anderen hinzugefügt, bis sie unverzeihbar waren. Nun ist es zu spät.«
»Ross will dich nicht mehr?« fragte lan überrascht. »Ich dachte immer, er wäre der verständnisvollste Mensch, den ich kenne, und es sieht bestimmt so aus, als würde er dich noch immer lieben.«
Sie schüttelte den Kopf. »Er will, daß ich mit ihm gehe, aber das kann ich nicht. Er weiß nicht, was damals wirklich geschehen ist, und ich kann es nicht ertragen, es ihm
zu sagen.« Ihre Stimme brach. »Ich verletze ihn ständig, aber wenn ich ihm die Wahrheit anvertraue, dann wäre es das Schlimmste für ihn.«
»Was ist denn passiert?« fragte lan weich. »Ist es etwas, das du, wenn schon nicht einem Ehemann, dann einem Bruder erzählen kannst?«
Juliet überlegte einen Moment, ob sie die ganze bittere Geschichte ausschütten sollte, doch ihr Magen verkrampfte sich allein bei dem Gedanken daran. »Nein«, flüsterte sie. »Ich kann es niemandem sagen. Ich kann einfach nicht.«
»Versuch es«, drängte lan. »Wenn du ein Geheimnis hast, das ROSS betrifft, ist es selbstsüchtig, es für dich zu behalten. Laß ihn sich doch seine eigene Meinung bilden.« Seine Stimme wurde wieder zärtlicher. »Das Glück ist eine fragile Angelegenheit, die schnell zu verlieren und nur sehr schwer wiederzuerlangen ist.
Wirf nicht einfach alles weg, nur weil du vor zwölf Jahren eine Dummheit begangen hast.« Er legte einen Arm um ihre Schultern.
»Als du mir damals schriebst und sagtest, du wolltest schon so jung heiraten, hielt ich dich für verrückt«, erinnerte er sich. »Als ich dann zur Hochzeit erschien und ROSS kennenlernte, dachte ich, er müßte verrückt sein, um die kleine Wildkatze zu heiraten, die meine Schwester war.«
Verletzt versuchte Juliet sich von ihm loszumachen, aber ihr Bruder hielt sie nur fester. »Zeig dem Oberhaupt unserer Familie ein bißchen mehr Respekt, Hexe«, befahl er mit einem Hauch gutmütigen Spottes. »Tatsache ist, daß ihr zwei auf einzigartige Weise füreinander gemacht seid. Es war richtig, ihn zu heiraten, und jetzt ist es dies um so mehr. Laß nicht etwas, das so kostbar ist, einfach im Sande verlaufen, ohne nicht alles Menschenmögliche zu versuchen, um es zu halten.«
Nicht länger in der Lage, sich zu beherrschen, begann Juliet zu weinen, und tiefe, qualvolle Schluchzer erschütterten ihren ganzen Körper. Der andere Arm ihres Bruder umschlang sie warm und tröstend. Trotzdem er noch so dünn war, fühlte er sich kräftig wie ein Stahlseil an.
lan hielt sie fest, bis ihre Tränen ein wenig nachließen. Dann murmelte er: »Als wir klein waren, warst du das mutigste Wesen der Welt, und ich mußte alles an Courage aufbieten, um mit dir mithalten zu können. Benutze deinen Mut jetzt wieder. Laß dich nicht von deiner Angst daran hindern, ROSS die Wahrheit zu erzählen. Er könnte dich überraschen.«
Juliet stieß einen Laut aus, der irgendwo zwischen Lachen und Weinen lag. »Du hieltest mich für tapfer? Immer, wenn ich dir bei deinen Eskapaden hinterherlief, hatte ich Angst, traute mich aber nie, es zuzugeben, weil ich fürchtete, du würdest mich dann verachten und nie wieder mitnehmen.«
»Tatsächlich? Dann ist es ein echtes Wunder, daß wir bei den Versuchen, uns gegenseitig unsere Tapferkeit zu beweisen, nicht umgekommen sind.« Er wischte ihr mit den Fingerknöcheln eine Träne von der Wange. »Geh und sei tapfer, Juliet. Feigheit kostet mehr und tut heftiger weh.«
Sie schloß die Augen und lehnte ihren Kopf an seine Schulter - in der Hoffnung, etwas von seiner Kraft würde auf sie überfließen.
ROSS zu sagen, was damals geschehen war, war nicht das, was den meisten Mut
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