Wilder als Hass, süsser als Liebe
zurückkam, war sie fort.
Aus der Position seines jetzigen Alters heraus konnte er leicht sehen, daß Juliets Jugend und ihre Unerfahrenheit sie dazu verleitet hatten, Leidenschaft mit Liebe zu verwechseln. Er hatte sie in eine Ehe gedrängt, bevor sie Zeit für Zweifel gehabt hatte, aber es hatte nicht lange gedauert, bis sie ihren Fehlern erkannte.
Jede andere Frau wäre um seines Vermögens und seines Besitzes willen bei ihm geblieben, nicht jedoch Juliet. Und obwohl sie ihm heute abend mit ungeschickter Galanterie verdeutlicht hatte, daß das Scheitern ihrer Ehe nicht sein Fehler gewesen war, wußte er es doch besser.
Natürlich hatte es in den letzten Jahren gelegentlich Frauen in ROSS’ Leben gegeben, wenn er so ausgehungert nach körperlicher Nähe gewesen war, daß er das Bedürfnis nicht länger bezwingen konnte. Doch keine der angenehmen, nonchalanten Frauen, die er aufgesucht hatte, war jemals in ihn verliebt gewesen. Zwar war er immer dankbar dafür gewesen, doch nun war diese Tatsache nur eine Bestätigung dafür, daß es seiner Natur an etwas fehlte.
Erst jetzt wurde er sich bewußt, daß er in seinen Räumen angekommen war und reglos in der Mitte seines Schlafzimmers stand. Nachdem er die Lampe abgestellt hatte, streifte er seine Kleider ab, warf sie achtlos über den Diwan und löschte dann das Licht. In einem seltsamen Zustand der Taubheit legte er sich auf die dicke baumwollgefüllte Matratze nieder und zog die Laken über sich.
Es war… interessant gewesen, festzustellen, daß das Verlangen, das Juliet in ihm immer geweckt hatte, noch genauso mächtig war, wie er es in Erinnerung hatte. Noch mächtiger, wenn er ehrlich war. Die Zeit hatte die Grenze zwischen Erinnerung und Traum verwischt, bis die Umarmung des heutigen Abends die Realität mit erschreckender Macht wieder zurechtgerückt hatte.
Noch interessanter war allerdings die Tatsache, daß auch Juliet ein Verlangen gespürt hatte, obwohl nicht stark genug, um ihren Widerstand gegen ihn zu überwinden. Es war klar, daß der Wunsch, ihm nie begegnet zu sein, den Juliet in ihr Tagebuch geschrieben hatte, nicht aus einem augenblicklichen Zorn heraus entstanden war. Ja, es wäre für beide besser gewesen, wenn sie sich niemals kennengelernt hätten, Trotz ihrer Leidenschaft, trotz des Lachens, der Gespräche und ihrem Verständnis füreinander, das sie kurze Zeit vor so vielen Jahren geteilt hatten, waren sie sich im Herzen doch immer fremd geblieben - und nun würden sie es auch für immer bleiben.
Eine Flasche Rotwein für zwei hätte früher in England keinesfalls exzessiv gewirkt, aber als Juliet jetzt ihren Körper aus den Laken befreite, erkannte sie, daß es dennoch ein verhängnisvoller Fehler gewesen war. Nicht daß einer von ihnen betrunken gewesen wäre
- aber sie hatte praktisch überhaupt nicht mehr getrunken, seit sie im Islam lebte, und ROSS, der gewöhnlich einiges vertragen konnte, hatte wahrscheinlich seit Monaten keinen Tropfen mehr angerührt. Und so waren zwei Gläser genug gewesen, die Zurückhaltung bis zu dem Punkt zu lockern, daß er sie küssen wollte - und sie war Närrin genug gewesen, ihn zu lassen.
Ihn zu lassen. Mit einem freudlosen Lachen rollte sie sich auf die Seite und vergrub das Gesicht in den Kissen. Sie hatte ihn nicht nur ermutigt, sie hatte ihn regelrecht verführt. Noch ein halbes Glas Wein mehr, und sie hätte es vermutlich tatsächlich gemacht.
Und, lieber Gott, sie wünschte, sie hätte es getan! Morgen früh würde sie froh sein, daß sie sich beherrscht hatte, aber im Augenblick fühlte sie nur das Verlangen, das durch ihren Körper strömte.
All die verdrängten Erinnerungen an das Liebesspiel -Geschmack, das Gefühl, ihn zu sehen, zu riechen und zu hören - waren unter ROSS’ Umarmung mit aller Gewalt hervorgebrochen. Wenn sie es versucht hätte, konnte sie bestimmt jedes einzelne Mal aufzählen und beschreiben, das sie sich geliebt hatten. Und da gab es viel zu erzählen, denn obwohl sie nur sechs Monate zusammengelebt hatten, waren sie beide jung und leidenschaftlich verliebt ineinander gewesen.
Eine ihrer lebhaftesten und sinnlichsten Erinnerungen war die an ihre Hochzeitsnacht. Die Hochzeit selbst war nicht groß gewesen, denn sie hatten nicht warten wollen, bis eine aufwendige Feier arrangiert werden konnte. Tatsächlich hatte Juliet in ihrer Verlobungszeit einmal vorgeschlagen, daß sie doch lieber dem schottischen Brauch nachkommen sollten, nur gemeinsam über ein Schwert zu
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