Wilder als Hass, süsser als Liebe
bildete, stellte Juliet erleichtert fest, daß kein Peitschenhieb sein Gesicht ernsthaft verschandelt hatte. Narben wären wie die Entstellung eines Kunstwerkes gewesen.
Während sie ihren Mann musterte, fuhr ihr plötzlich der alberne Gedanke durch den Kopf, daß ROSS zweimal so breite Schultern und halb so schmale Hüften wie ein durchschnittlicher Mann besaß. Dann errötete sie. Und dankte Gott für den Tagelmoust vor ihrem Gesicht.
Ihn so greifbar nah bei sich zu haben, ließ Juliets Knie weich werden und ihren Kopf schwindeln. Also wandte sie sich schnell ab, bevor sie sich lächerlich machte. Er mußte nach dem ganzen Energieverbrauch hungrig sein. Schweigend reichte sie ihm ein Stück Fladenbrot und ein Stück Ziegenkäse.
»Danke.« Und mit weicher, leiser Stimme, die Murad nicht hören konnte, fügte er hinzu: »Tut mir leid, daß ich mein Versprechen gebrochen habe, mich mit britischer Zurückhaltung zu benehmen.«
Als Juliet antworten wollte, mußte sie feststellen, daß ihre Stimme nicht zu funktionieren schien. Sie räusperte sich und murmelte schließlich: »Entschuldigung angenommen. Immerhin hast du mehr oder weniger intakt überlebt.« Dann fiel ihr Blick auf seine Hände, die voller Kratzer, Schrammen und blutigen Abschürfungen waren. »Vielleicht eher weniger.«
Er bewegte die Finger und schnitt eine Grimasse. »Tut weh und sieht schlimm aus, aber nichts ist gebrochen.«
Juliet hatte Baumwollstreifen mitgebracht, für den Fall, daß etwas verbunden werden mußte. Nun zog sie ein Stück Stoff aus ihrem Beutel und befeuchtete es. Dann nahm sie seine rechte Hand in ihre und wischte behutsam Dreck und Blut ab. In die Rolle der Krankenschwester zu schlüpfen, beruhigte sie und ermöglichte es ihr, ihn leidenschaftslos zu berühren, obwohl sie sich der Wärme seiner Finger nur allzu deutlich bewußt war.
Als sie mit der einen Hand fertig war und ihn losließ, strichen seine Fingerspitzen kurz über ihre Handfläche, und die sinnliche Empfindung war so intensiv, daß sie das Gefühl hatte, zu verbrennen. So weit zum Thema leidenschaftslos. Sie warf ihrem Mann einen mißtrauischen Blick zu, doch er unterhielt sich bereits mit Saleh und Murad, ohne auf sie zu achten. Die erotische Berührung mußte Zufall gewesen sein, doch sie gab acht, daß es kein zweites Mal geschah, als sie sich seiner linken Hand annahm,
Juliet krauste die Stirn, als sie sah, was unter dem Dreck und dem verkrusteten Blut war. Einige der Kratzer waren tiefer als vermutet, sie bluteten noch und mußten versorgt werden. Sie wandte sich an Murad, der das kleine Feuer gerade löschen wollte, das sie zum Teekochen während des Spieles gebraucht hatten.
»Laß das Feuer.«
Verbranntes Haar war ein klassisches und effektives Heilmittel für kleinere Schnitte. Juliet hätte gerne ihr eigenes verwendet, doch es hätte ihrer Verkleidung kaum besonders gut getan, wenn sie ihre roten Strähnen unter dem Schleier hervorgezogen hätte. Also nahm sie ihr Messer und schnitt einen Büschel Kamelhaare von der dichtbewachsenen Unterseite des Tierhalses. Dann legte sie das Haar auf einen der Steine am Feuer, häufte ein Stück Kohle darauf und ließ es in einer durchdringend riechenden Flamme zu Asche verbrennen. Nachdem diese abgekühlt war, fegte sie sie in ihre Hand und eilte wieder zu ROSS, der sie neugierig beobachtete.
Juliet zerrieb etwas von der Asche und streute sie in die tieferen der Schnitte. Sofort vermischte sich das Blut damit.
»Interessant«, kommentierte er. »Ist das ein persisches Heilmittel?«
»Afghanisch«, antwortete sie, als sie die nächste Wunde behandelte. »Verbranntes Haar ist nur für kleine Wunden gut, aber es stoppt die Blutung und vermindert die Entzündungsgefahr. Man kann jedes Haar dafür nehmen.«
»Auf jeden Fall zivilisierter als Ausbrennen. Wo wir gerade davon sprechen … wie geht es deinem Arm?«
»Gut. Ich spüre schon fast nichts mehr«, erklärte sie wahrheitsgetreu, als sie mit ROSS’ Behandlung fertig war.
Der Ritt zurück nach Merw ging weitaus entspannter vor sich als der Hinweg. Ab und zu kamen Ansässige vorbei, die ihnen bewundernde Worte über das Spiel zuriefen, welches offenbar von jedem Mann in diesem Teil der Karakum gesehen worden war. Der Prozeß der Legendenbildung über ROSS kam äußerst gut voran.
Der letzte Teil der Straße führte am Fluß von Merw entlang.
Schmal und bewachsen wand er sich in trägen Kurven durch die Wüste, wobei seine grünen Ufer einen unstimmigen
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