Wilder Engel (German Edition)
Blondine schon zweimal nicht. Sie würde sich vielleicht gerade noch rechtzeitig wegbeamen können. Aber zu zweit hatten die Mistkerle deutlich mehr Möglichkeiten, sie irgendwo zu überraschen, und dann bliebe ihr vielleicht nicht mehr Zeit genug, um die erforderliche Energiemenge anzusammeln.
Obendrein würde sie für jedes erfolgreich durchgeführte Mal prompt eines von höherer Stelle auf den Deckel kriegen. Unmissverständlich genug hatten die letzten Mailbotschaften immerhin geklungen. Die meinten es tatsächlich ernst »oben«.
Sie versuchte, sich an den genauen Wortlaut der letzten beiden Mailnachrichten zu erinnern. Da war doch noch etwas gewesen, das ihr zwar sofort ins Auge gestochen, aber irgendwie zu dem Zeitpunkt noch nicht so richtig klar geworden war? Mist! Sie hätte den Laptop jetzt dringend gebraucht, aber wer rannte schon mit einem solchen Ding bewaffnet nachts in Nachtclubs und Schwulenbars herum …
»Ein weiterer Abgesandter musste überstürzt anreisen und ins Geschehen eingreifen!«
Plötzlich stand ihr dieser Satz wieder leuchtend vor den Augen. Sie konnte die Buchstaben fast mit Händen greifen. Himmel, ja!
Genau das war es, das hatte sie übersehen gehabt in ihrem Übereifer, denen da oben die Meinung zu geigen.
Wer war dieser weitere Abgesandte?
Und vor allem, wo trieb er sich gerade jetzt herum?
War er noch hier auf dem Globus oder bereits wieder abgereist?
Nur mal angenommen, er war hier, und dazu noch auf dieser Insel …
Siedend heiß streifte sie ein weiterer Gedanke: Was, wenn Cameron aus Dublin in Irland gar nicht Cameron aus Dublin in Irland war?
Wenn er »der weitere Abgesandte« war? Nur so zum Beispiel, nicht wahr, könnte ja sein.
Mist!
Das wäre tatsächlich noch schlimmer, als wenn er bloß mit Allister unter einer Decke steckte.
Vielleicht steckte er auch nicht da, unter der Decke, sondern war Abgesandter, das war im Grunde genommen auch schon schlimm genug.
Und noch schlimmer wäre sicher, wenn er abgesandt wäre und unter der gemeinsamen Decke steckte. Mit Allister nämlich.
Selbst wenn er weder das eine war noch das andere tat,dann war die Situation auch schon schlimm genug. Denn seit ihrem klammheimlichen unerlaubten Verschwinden vorhin aus dem Jazzissimo , nebst erfolgreichem Taschendiebstahl, waren – davon war sie mit jedem Schluck Bier noch ein wenig mehr überzeugt – jetzt beide Männer endgültig hinter ihr her.
Vielleicht unabhängig voneinander, vielleicht tatsächlich kameradschaftlich vereint: Gemeinsam sind wir stark, und vier Augen sehen sowieso viel mehr als zwei!
Sie waren auf alle Fälle hinter ihr her! Mist!
Sie musste verschwinden, und zwar zuerst mal von dieser Insel. Ganz weit weg, aber wohin?
München!
Da hatte sie immerhin »Familie«, nicht wahr?
Mama Ingeborg. Und einen Vater dazu, der Karl-Friedrich hieß, oder so ähnlich wenigstens.
Nun, es gab sicher Schlimmeres im Leben! Etwa von Panther-Cameron und Fuck-Allister verfolgt und daran gehindert zu werden, einen höchst wichtigen Auftrag von ganz oben zur allgemeinen Zufriedenheit auszuführen.
Angie nippte wieder an ihrem Bier, aber die Flasche war beinahe leer.
Also schlenderte sie nochmals zur Bar hinüber und bestellte ein weiteres Bier. Der eine Barkeeper war richtig nett, er grinste sie an und schob ihr die grüne Heineken-Flasche über den Tresen zu: »Hey, Babe, das geht aufs Haus. Hast dich wohl verirrt, Mädchen, was?«
»Nö«, sagte sie. »Mir gefällt’s hier drinnen. Klasse Jungs hier. Danke fürs Bier.«
Er starrte sie an, aber schließlich schien ihm die Wahrheit zu dämmern.
»Girls kommen hier selten rein«, sagte er. »Die haben ihren eigenen Treff, grade mal zwei Häuser weiter. Das wolltest du doch wissen, oder?«
»Unbedingt!«, sagte Angie und prostete ihm zu.
Sie kehrte an ihren Katzentisch zurück.
München also! Verdammter Mist, sie hatte eigentlich so gar keine Lust, sich mit Angela Engels Familie auseinanderzusetzen. Sie hatte vielmehr Lust, hier auf der Insel noch weiter zu … ähm … recherchieren. Hier tat sich was, hier traf man Leute aus ganz Europa. Jedenfalls im stets sonnigen südlichen Teil Teneriffas.
Deutsche, Engländer, Iren, Franzosen, Italiener, Belgier, die Spanier selbst, aber zunehmend jetzt auch die Ostblockländer, Polen, Russen – alle kamen sie hier zusammen. Manche blieben nur Wochen, viele Monate, vor allem im Winter, oder gleich Jahre.
Und sie alle lebten hier zumindest einigermaßen friedlich
Weitere Kostenlose Bücher