Wilder Engel (German Edition)
legte den Zettel auf den runden Tisch im Zimmer und beschwerte ihn mit einem gläsernen Aschenbecher, den sie im Badezimmer gefunden hatte.
In den Aschenbecher legte sie einige sorgfältig gefaltete Geldnoten. Genug, um die Miete für einen vollen Monat im Voraus zu begleichen.
Vielleicht verstand Julia den Wink und würde fairerweise das Apartment solange auch freihalten. Falls Mama Ingeborg schnell genug in München alles geregelt bekam, wartete wenigstens eine Unterkunft auf sie.
Mehr konnte Angie nun wirklich nicht mehr tun für Angelas Mutter. Ihr Auftrag sollte hiermit eigentlich erfüllt sein. Falls es tatsächlich das gewesen war, was man »oben« von ihr wirklich wollte.
Und falls nicht, dann konnte es wenigstens nichts schaden. Alles Weitere lag ohnehin bei Ingeborg und deren eigenem Schutzengel. Der hoffentlich besser aufpasste als Angelas.
Als auch das erledigt war, zog Angie das Buch, dasMaggie ihr geschenkt hatte, hervor. Sie legte sich damit aufs Bett und begann zu lesen.
Sie las und las und konnte nicht mehr aufhören damit. Verschlang regelrecht Seite um Seite. Zwischendurch tauchte sie manchmal kurz auf aus der Lektüre, allerdings nur, um sich in Gedanken Notizen zu machen. Anschließend tauchte sie sofort wieder in die Geschichte von den Elf Minuten. Morgens gegen vier Uhr drehte sie die letzte Seite um …
Hinterher sprang Angie auf, schnappte sich den Laptop und fuhr ihn hoch. Sie begann hastig zu tippen:
Abschließender Lagebericht von Abgesandter Angie:
Liebe, Partnerschaft und Sex sind tatsächlich die Hauptthemen im menschlichen Leben. Sozusagen seine Triebfedern.
Oder, halt: Die Reihenfolge muss eigentlich lauten:
1. SEX
2. LIEBE
3. PARTNERSCHAFT
Nummer 1 springt einem überall ins Auge: von den Titelseiten der Zeitschriften herunter, von Litfasssäulen, welche die neuesten Filme ankündigen, von Werbeplakaten, die teilweise unmögliche Dinge bewerben wie etwa, sagen wir mal, Slipeinlagen für Seniorinnen.
SEX, SEX, SEX.
Und kein Ende in Sicht.
Er wird gleichzeitig geheiligt und in den Himmel gehoben, aber auch genauso verteufelt und verurteilt. Zwischen den beiden Extremen versuchen sich die Menschen zurecht- und wiederzufinden.
Keine einfache Sache, man braucht sich nur die Tagebücher der so unglücklich verschollenen Angela Engel genauer anzusehen.
Aber darüber habe ich an anderer Stelle bereits zu berichten versucht. Ein Versuch, der nicht allzu gnädig aufgenommen wurde!
Es gibt natürlich auch genug Bücher auf der Erde zum Thema. Und jedes Jahr kommen weitere Neuerscheinungen hinzu.
Um die Sache abzukürzen und auf den Punkt zu kommen: Abgesandte Angie empfiehlt dringend die Lektüre von folgendem Autor und seinem Roman: Paulo Coelho »Elf Minuten«.
Warum? – Nun, dem Mann ist das Kunststück gelungen, den Sex, die Liebe, aber auch den Punkt Beziehung/Partnerschaft auf eine neue und interessante Weise zu beleuchten.
Vor allem aber, die Unterschiede und die Gemeinsamkeiten oder besser gesagt die Überlappungen zwischen den drei Themenpunkten zu erhellen!
Da ich aus eigener Anschauung dem Themengebiet nichts weiter hinzuzufügen habe, bereite ich gerade meine Abreise vor und kündige hiermit gleichzeitig meine Rückkehr in höhere Dimensionen an.
Abgesandte Angie
PS: Es sind diese elf Minuten, um die es anscheinend wirklich geht im Leben. Elf Minuten (am Tag, in der Woche, im Monat, im Jahr?), in denen schlicht alles gelebt werden soll: alle Lust und alle Liebe, alle Freude und aller Schmerz.
Elf Minuten, auf die es ankommt.
Elf Minuten aber auch, die immense Probleme schaffen können, falls sie Probleme machen. Aus welchem Grund auch immer.
Man denke nur an Berthold und welche Probleme er mit Angela bekam – wegen seiner Probleme mit den »Elf Minuten«, die manchmal nur »Elf Sekunden« dauerten.
Und das ist nur EIN Beispiel!
Angie drückte auf SENDEN, wartete noch zwei Minuten, bis der Rechner meldete: Nachricht erfolgreich gesendet , und fuhr den Laptop herunter. Sie verpackte ihn in die dazugehörige Ledertasche und verstaute sie dann in der Hermes-Reisetasche.
Jetzt war sie bereit zu gehen.
Sie huschte noch einmal ins Badezimmer hinüber, um einen letzten Blick in den Spiegel zu werfen.
Nein, sie identifizierte sich tatsächlich nicht mit dem blonden Vamp, der sie mit großen, fragenden Augen aus dem Spiegel heraus ansah. Sie fühlte sich genau als das, was sie im Grunde ja auch war: eine geklonte Angela Engel. Am Anfang hatte es sich
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