Wilder Oleander
ihrer Überzeugung immer mehr bestärkt werden würde, das Richtige zu tun. Aber inzwischen war es Donnerstag und die Hochzeit fand übermorgen statt, und die einzige Gewissheit, zu der sie gefunden hatte, war, dass sie nicht aus eigenem Antrieb heiratete, sondern ihrem Vater zuliebe.
»Das bin ich ihm schuldig«, hatte sie zu ihrer Therapeutin gesagt. »Daddy möchte so gern in den Kreis der Vandenbergs aufgenommen werden.«
»Dann opfern Sie ihm also Ihr Leben?«, hatte Dr.Friedman gefragt.
Ihr Vater wusste nicht, dass sie zu einer Therapeutin ging. Er würde die Decke hochgehen, wenn er dahinter kam. Aber Pater Sebastian zu Rate zu ziehen, hatte nichts gebracht. »Die Ehe beinhaltet mehr als nur körperliche Vereinigung«, hatte der Geistliche gesagt – ein Mann, der nie geheiratet hatte.
»Ich habe ihm meine Mutter weggenommen«, hatte Francesca ihm anvertraut. »Sie starb bei meiner Geburt. Deshalb stehe ich in seiner Schuld.«
Jetzt glitt sie vorsichtig aus dem Bett und ging über den dicken Teppich zur Kommode, auf der das Foto ihrer Mutter stand. Gayane Simonian mit einundzwanzig Jahren. Atemberaubend schön. Jung gestorben, wegen des Kindes, das sie in sich trug. »Ich musste mich entscheiden«, hatte der Vater Francesca gesagt, »der Arzt hatte eine innere Blutung festgestellt, die nur zu stoppen war, wenn er das Kind herausholte. Wie er meinte, wäre Gayane zu retten, allerdings auf Kosten des Babys. Oder aber er könnte das Kind retten, dann jedoch müsste Gayane geopfert werden.«
Einmal – mit fünfzehn Jahren – war Francesca ausgebüxt. Sie hatte in einer Ecke im Büro des Vaters die Unmengen neuer Spielsachen entdeckt, die sie zum Geburtstag bekommen sollte – Puppen und kleine Teeservice und sogar ein Schaukelpferd. Ihr Vater war viel zu sehr damit beschäftigt, sein Casino zu leiten und reich zu werden, um zu bemerken, dass Francesca langsam erwachsen wurde. Deshalb hatte sie sich eingeredet, sie laufe weg, weil ihr Vater ihr keine Beachtung schenkte. Aber das war nicht der eigentliche Grund. Francesca hatte lange gebraucht, sich mit den Schuldgefühlen abzufinden, die sie mit sich herumschleppte, seit sie alt genug war, um zu begreifen, dass ihre Mutter gestorben war, um ihr, Francesca, das Leben zu schenken. Als Fallons Männer sie nach Vegas zurückbrachten, hatte der Vater sie nicht bestraft, sondern nur gefragt:
warum?
Wo er sie doch nach Strich und Faden verwöhne und sie auf nichts zu verzichten brauche, sie, seine Prinzessin. Daraufhin war sie zusammengebrochen und hatte unter Schluchzen hervorgestoßen, sie werde nicht damit fertig, für den Tod der Mutter verantwortlich zu sein. Nie würde sie sein entsetztes Gesicht vergessen, als sie ihm entgegengeschleudert hatte: »Du lässt mich links liegen, weil ich dich an Mama erinnere!«
»Ich lasse dich nicht links liegen, Francesca«, hatte er gestammelt. »Ich hab dich doch lieb. Bekommst du von mir nicht alles, was du dir wünschst?«
»Alles, was ich mir wünsche?«, hatte sie entgegnet. »Du umgibst mich mit fremden Menschen und schenkst mir alles Mögliche. Aber du selbst bist nicht für mich da. Ich weiß auch, warum. Weil du glaubst, dass ich Mama umgebracht habe!«
Er hatte sie in die Arme genommen und gemeinsam hatten sie geweint, und von da an war alles anders geworden. Keine Leibwächter mehr und keine Aufpasser. Keine Privatlehrer
mehr, keine festen Schulstunden, keine Vorschriften mehr. Kein Verweilen im Penthaus in Gesellschaft von Fremden mehr, wenn der Vater unten im Casino zu tun hatte. Vater und Tochter waren fortan unzertrennlich, unternahmen gemeinsam alles Mögliche, gingen zusammen auf Reisen. Er nahm sie auf eine ausgedehnte Kreuzfahrt mit, dann folgten drei Monate Italien, dem Land ihrer Vorfahren. Und immer wieder versicherte er ihr, dass sie den Tod ihrer Mutter nicht zu verantworten habe. Dass es in Gottes Hand läge, dass die Natur zuweilen ganz eigene Wege gehe und es uns nicht zustehe, nach dem Warum zu fragen.
Francesca hatte das akzeptiert. Nur gelegentlich, spätabends wie heute, blickte sie von ihrem Balkon aus über das farbige Lichtermeer hinweg zu der schwarzen und stillen Wüste und dachte darüber nach …
»Liebling?«
Sie drehte sich um. Stephen hatte sich im Bett aufgesetzt, sein Haar war jungenhaft zerzaust, der Blick verträumt.
»Schlaf weiter«, sagte sie zärtlich und verdrängte eine Erinnerung, die in Augenblicken wie diesen hochzukommen pflegte. Erik. Der Fallschirmspringer,
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