Wilder Oleander
den sie abgöttisch geliebt hatte. Sechs Jahre lag das zurück. Sie hatte geglaubt, niemals seinen Tod zu verwinden. War sogar lange von der Idee besessen gewesen, Rache zu üben. Erik hatte stets mit größter Sorgfalt seinen Fallschirm gepackt, und dann hatte irgendjemand vorsätzlich die Schnüre gekappt. Wer das wohl gewesen war? Spekulationen zufolge konnte es ein Konkurrent gewesen sein oder ein ehemaliger Rivale. Schon bald hatte Francesca eingesehen, dass Rachegedanken zu nichts führten, und sich damit abgefunden, dass, da man Erik nicht nachweisen konnte, nachlässig mit seinem Fallschirm umgegangen zu sein, der Unfall die Folge eines dieser nicht kalkulierbaren Risiken einer waghalsigen Sportart war.
Stephen hatte für Sport nichts übrig. Er war ein Intellektueller. Und sie liebte ihn. War ihre Liebe stark genug?, fragte sie sich erneut, als die Lichter von Las Vegas hinter ihr aufzuckten. Ihr Vater hatte sich angeblich Hals über Kopf in Gayane verliebt. Ohne zu wissen, dass sie Gregory Simonians Tochter war. Und als er dies erfahren hatte, befürchtete er, Gayanes Vater würde der Verbindung nicht zustimmen. Aber Simonian hatte Michael Fallon mit offenen Armen aufgenommen. Francesca wäre gern dabei gewesen, schon weil sie dann ihre Mutter und ihren Großvater kennen gelernt hätte. Sie lauschte begierig, wenn der Vater ihr von früher erzählte und wie entsetzlich es gewesen war, als Gregory bei einem ominösen Hubschrauberunglück ums Leben kam, wie dieser Unfall den Vater derart erschüttert hatte, dass er Monate brauchte, um sich wieder zu fangen.
Damals hatte er das Atlantis hochgezogen. »Der Tod deines Großvaters war für mich so schrecklich, dass ich mich nur mit Arbeit betäuben konnte. Das hat mich gerettet. Die Arbeit und du.«
Wenn es zwischen Francesca und ihrem Vater je Meinungsverschiedenheiten gegeben hatte, dann nur in einem Punkt: in Sachen Fliegerei.
Seit sie zum ersten Mal im Cockpit seines Privatjets gesessen hatte – sie, die Tochter des Bosses –, war sie begeistert von der Freiheit des Himmels. Damals war sie noch zu jung, um zu wissen, dass ihre neue Leidenschaft ein Ventil für ihr eingeengtes Leben war, einem Leben in der Obhut eines überfürsorglichen Vaters, der ständig befürchtete, seine Tochter könnte entführt werden. Mochten andere kleine Mädchen sich mit Puppen umgeben – Francesca sammelte Modellflugzeuge, die sie zusammenklebte und von der Decke ihres Schlafzimmers herunterhängen ließ und die dann in regelmäßigen Abständen von Mike Fallon kassiert wurden, weil er die Ansicht
vertrat, kleine Mädchen sollten sich nicht mit derlei Dingen beschäftigen. Aber wie viel hübsches Spielzeug, Puppenhäuser, Babypuppen und Teddybären er ihr auch schenkte, Francesca schmuggelte weiterhin Flugzeugmodellbaukästen in ihr Zimmer und klebte winzige Beechcraft Bonanzas und kleine Grumman Wildcats zusammen.
Ihr sehnlichster Wunsch blieb nach wie vor, am Steuerknüppel eines eigenen Flugzeugs zu sitzen.
Sie setzte ihren Willen durch, nachdem sie mit fünfzehn weggelaufen war und ihren Vater in Angst und Schrecken versetzt hatte. Er versprach ihr Flugunterricht, sobald sie sechzehn war, und zu ihrem achtzehnten Geburtstag schenkte er ihr eine Piper Cub. Von da an, während ihrer College-Zeit und an der juristischen Fakultät, schwang sich Francesca, wann immer es sich einrichten ließ, in die Lüfte. Nur dort fühlte sie sich wirklich frei und im Einklang mit sich selbst.
»Ich kann nicht schlafen«, sagte sie zu Stephen.
Er verließ das Bett. Nackt und einem Adonis nicht unähnlich, kam er auf sie zu und umfasste ihre Taille. »Das ist nur die Aufregung vor der Hochzeit.«
Sie schloss die Augen und lehnte das Gesicht an seine Brust, damit er ihre Tränen nicht sah.
»Du zitterst ja.«
»Mir ist kalt.«
Ich habe Angst.
Hatte sie eingewilligt, Stephen zu heiraten, weil er gesagt hatte, dass Kinder für ihn nicht im Vordergrund stünden? Dass es ihm nichts ausmache, darauf zu verzichten, weil ihren beiden Karrieren Priorität zukomme? Weil er genau das gesagt hatte, was sie hatte hören wollen, weil sie insgeheim befürchtete, eventuell das gleiche Schicksal wie ihre Mutter zu erleiden? Bei dem Gedanken an Kinder blieb ihr jedes Mal das Herz stehen, auch wenn ein Arzt ihr attestiert hatte, sie
sei völlig gesund. War nicht auch Gayane völlig gesund gewesen?
»Stephen«, bestürmte sie ihn urplötzlich, »komm, wir brennen durch.«
»Wie bitte?«
»Lass
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