Wilder Oleander
Babys tot wäre, haben wir nicht eine Sekunde lang daran gedacht, dass sie eines Tages auftauchen könnte.«
Ophelia, die neben David, der ihre Hand hielt, auf dem Sofa saß, starrte ihre Eltern an. »Dann stimmt es also?«, stieß sie aus.
Rose bedachte sie mit einem kummervollen Blick. »Dein Vater und ich waren bereits seit fünf Jahren verheiratet, und noch immer meldete sich kein Baby an. Spezialisten, die ich aufsuchte, meinten, ich könnte keine Kinder bekommen. Also beschlossen wir, eins zu adoptieren. Allerdings sollte es ein jüdisches Kind sein. Unser Anwalt empfahl uns einen Mann, der Erfahrungen auf diesem Gebiet besaß. In seinem Wartezimmer bekam ich mit, wie er mit jemandem, den er Mr.Bakersfelt nannte, telefonierte. Eine Woche später rief er an und sagte, dass eine Jüdin im Wochenbett gestorben sei. Bei dem Baby handle es sich um ein gesundes Mädchen unserer Abstammung.« Mrs.Kaplan zerknüllte ihr Taschentuch. »Er fügte noch hinzu, dass eigentlich andere Ehepaare vor uns dran wären, gab uns aber zu verstehen, dass es Mittel und Wege gebe, uns ganz oben auf die Liste zu setzen.«
»Geld«, warf Ophelia ein.
»Er sprach von einer Spende für ein Waisenhaus, für einen guten Zweck. Unsere zehntausend Dollar würden viele glücklich machen. Also zahlten wir.«
»Du warst gerade mal sechs Monate bei uns«, mischte sich Norman Kaplan ein, »als deine Mutter feststellte, dass sie schwanger war. Mit deiner Schwester Janet. Danach kamen noch Susan und Benjamin. Wie heißt es doch so schön? Adoptierte Babys fördern die Schwangerschaftsbereitschaft der Frau.« Er lächelte traurig.
Ophelias Gesicht wirkte wie aus weißem Marmor gemeißelt. »Warum habt ihr mir das nie gesagt?«
»Wir wollten es ja. Aber jedes Jahr verschoben wir es aufs
nächste. Wir befürchteten, du würdest dich dadurch weniger zu uns gehörig fühlen. Zumal meine Eltern dich nicht akzeptierten.«
Der bewusste Tag auf dem Schoß des Großvaters. Jetzt begriff Ophelia, dass der Ausspruch ihres Großvaters der Auslöser für ihr ständiges Wetteifern gewesen war, sich zu behaupten. »Was haben weiße Narzissen zu bedeuten?«
»Das weißt du noch? Du warst doch noch so klein. Deine Großmutter lag damals im Krankenhaus. Wer sie besuchte, brachte ihr weiße Narzissen mit, ihre Lieblingsblumen. Als wir mit dir zu ihr gingen, wollte mein Vater,
Zaydeh
Abraham, dich nicht in ihr Zimmer lassen. Er hatte sich gegen die Adoption gesperrt und gesagt, er würde dich niemals akzeptieren. Ich wusste gar nicht, dass du das mitbekommen hast.«
Bleischwere Stille senkte sich über den Raum, jeder war verstrickt in Gedanken und Gefühle. »Mutter«, sagte Ophelia und setzte sich neben Rose Kaplan. »Mom, ich muss dir was sagen. Ich bin schwanger.«
Die ältere Frau schnappte nach Luft und schloss dann Ophelia in die Arme. »Gelobt sei Gott«, schluchzte sie.
Weiterhin eng umschlungen, berichtete Ophelia Mrs.Kaplan von ihren Befürchtungen, dass ihr Kind an Tay-Sachs leiden könnte und dass sie nach The Grove gereist sei, um sich in Ruhe mit diesem Problem auseinander zu setzen. Abby wurde ganz warm ums Herz, als sie Rose Kaplan an Ophelias Schulter weinen sah. Auch Ophelia weinte, wollte sich von der Frau, die sie als ihre Mutter angesehen hatte, nicht lösen.
Nach einer geraumen Weile rückte Mrs.Kaplan von ihrer Tochter ab, trocknete ihre Tränen und lächelte Abby bekümmert an. »Wie das Leben so spielt«, sagte sie. »Wir wollten eine jüdische Tochter, aber jetzt erweist es sich Gott sei Dank von Vorteil, dass sie das nicht ist. Weil dadurch dem Baby keine Gefahr droht.
Ihr beide habt eine Menge nachzuholen«, fügte sie noch hinzu und richtete sich auf.
Abby sah Rose entgeistert an. Das war nicht ihre Absicht gewesen. »Ich fahre weg«, sagte sie.
»Für wie lange?« Ophelia erschrak.
»Möglicherweise für sehr lange. Ich hatte gar nicht vor, mich Ihnen zu erkennen zu geben. Nur wegen Ihrer Schwangerschaft sah ich mich gezwungen, Ihnen darzulegen, dass Ihr Kind nicht in Gefahr ist … « Stockend kamen die Worte heraus. »Aber ich muss weg. Heute noch. Vermutlich werden Sie nie wieder von mir hören.« Ausgeschlossen, dass sie ihre wieder gefundene Tochter in ihre Pläne mit einbezog.
Alle schwiegen. Eine gespannte Atmosphäre breitete sich aus. Bis David meinte: »Ich glaube, wir müssen erst einmal auf Abstand gehen und das alles verdauen.«
Erleichtert pflichtete man ihm bei.
»Wir haben alles getan, um Ophelia ganz
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