Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wilder Oleander

Wilder Oleander

Titel: Wilder Oleander Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathryn Harvey
Vom Netzwerk:
zu finden!
    Sie sprang aus dem Bett und bestellte sich telefonisch ein Frühstück – Räucherlachs, Bagels und Frischkäse; dann nahm sie rasch eine Dusche, die sie, um in die Gänge zu kommen, auf reichlich kalt einstellte.
    »Er ist weit gereist. Er kennt die Welt.«
    Das hatte ihre Kristallkugel gestern Abend gesagt, wenngleich nicht mit genau diesen Worten und auch nicht mit vernehmbarer Stimme. Der Kristall vermittelte Ideen und Vorstellungen. Und es war nicht er, der da sprach, sondern Cocos Schutzgeist Daisy.
    Was Coco brauchte, waren Einzelheiten. Vor mehreren Wochen hatte sie nach dem Verbleib eines vermissten Kindes geforscht, als zum ersten Mal die Botschaft zu ihr durchgedrungen war. Während der Befragung des Kristalls hatte ihr Telefon geläutet. Gerard, der niedliche afroamerikanische
Detective, der wie der Cop in
Law & Order
aussah, rief an, um die Verabredung mit ihr abzusagen.
    Mal wieder typisch. Die Männer fanden sie hinreißend – Coco war temperamentvoll, hatte eine aufregend weibliche Figur und ein bezauberndes Lächeln –, bis sie dahinter kamen, dass sie Hellseherin war und im Dienste der Polizei stand. Gerard hatte gesagt, dies sei für ihn kein Problem, er kenne das von seiner Großmutter, die Unwetter vorhersagen könne. Als Coco dann aber davon sprach, was sie in ihren berühmten »Blitzen« sah – meist profane Dinge wie »deine Autoschlüssel sind hinter die Kommode gefallen«, gelegentlich aber auch tief im Innern Verborgenes –, war Gerard immer skeptischer geworden. Sie hatten sich zum ersten Mal abends verabredet – zum Essen und später ins Kino. Aber dann hatte er unter einem fadenscheinigen Vorwand abgesagt, und das war’s dann gewesen. Adieu, Gerard.
    Bedrückt über ihr trauriges Liebesleben – mit dreiunddreißig sehnte sich Coco allmählich nach Geborgenheit –, hatte sie in die Kristallkugel geschaut, die ihr zu vermitteln suchte, wo ein vermisstes Kind abgeblieben war, als ihr ein ungehöriger Gedanke gekommen war:
Frag den Kristall, ob es irgendwo auf der Welt einen Mann gibt, der nur für dich bestimmt ist.
Dass Coco hellseherische Fähigkeiten besaß, hatte sich in frühester Jugend herausgestellt. Ihre Mutter, die erkannte, dass die Begabung ihrer Tochter einzigartig und unbezahlbar war, hatte sie ermahnt, ihre Talente ausschließlich zum Wohle anderer zu nutzen. »Wenn du sie zu deinen persönlichen Zwecken verwendest«, hatte sie ihr immer wieder eingeschärft, »öffnest du dem Unheil Tür und Tor.«
    Coco war diesem Rat gefolgt, bis zu Gerards Anruf. Der hatte ihr den Rest gegeben. Seit Jahren half sie der Polizei, Mörder aufzuspüren, Opfer von Entführungen, vermisste Kinder. Wurde es da nicht langsam Zeit, dass auch sie mal
auf ihre Kosten kam? Das war doch nicht egoistisch, oder? Zumal sie außer der Reihe auch Freunden und Verwandten ihre hellseherischen Fähigkeiten zugute kommen ließ. Ihre eigene Schwester hatte durch Coco und die Kristallkugel ihren Traumprinzen gefunden. Warum stand es also Coco nicht zu, die Kugel in eigener Sache zu befragen? Wer außer ihrer Mutter behauptete, das bringe Unglück?
    Coco hatte sich entspannt, die Hände über die Kugel gebreitet und sich Daisy überlassen, und die Botschaft war laut und deutlichen zu vernehmen gewesen:
Ja, da ist ein Seelenverwandter, der auf dich wartet.
    Erregt hatte Coco gefragt: Wo?
    Eine Vision hatte sie erfüllt: die untergehende Sonne.
    Mehr hatte der Kristall nicht preisgegeben. Und dann war von FedEx der Umschlag gekommen, mit der Nachricht, dass sie ein Preisausschreiben gewonnen hatte, eine Woche in einem Resort in Kalifornien.
Untergehende Sonne.
Westen! Das konnte kein Zufall sein. Coco hatte umgehend zugesagt, alle Deutungen und Séancen abgesagt, ihre Dienststelle unterrichtet, dass sie verreisen würde, und ein Flugzeug in Richtung Westküste bestiegen.
    Und jetzt war sie hier, aufgebrezelt für den ersten Beutezug in dem Land, in dem sich ihr Seelenverwandter aufhielt.
    Die lange Sitzung mit dem Kristall gestern Abend hatte weder den Namen des Mannes erbracht noch wie er aussah, noch irgendeinen Hinweis, mit dem man etwas anfangen konnte. Die Botschaft, die ihr Daisy immer wieder durch den Kristall übermittelte, lautete: Er ist weit gereist.
    Na großartig. Das dürfte auf jeden Gast hier zutreffen. Wer sich The Grove leisten konnte, besaß auch für Weltreisen das nötige Kleingeld.
    Es galt, keine Zeit zu verlieren. Der Kristall vermochte lediglich Rat zu erteilen, nicht

Weitere Kostenlose Bücher