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Wilder Oleander

Wilder Oleander

Titel: Wilder Oleander Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathryn Harvey
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aufgetaucht war und der Sandsturm gewütet hatte –, hatten sie danach bis zum Morgengrauen über Afrika und Zebs Anliegen gesprochen, sich aktiv für die Erhaltung des gefährdeten Tierbestands einzusetzen. Vanessa hatte seinem früheren Traum neues Leben eingehaucht. In ein paar Tagen wollten sie nach Kenia aufbrechen, »nach Hause«, wie beide es nannten.
     
    Der Sheriff kam zum Ende seiner Befragung, dankte Jack und Abby und verabschiedete sich. »Wie geht’s dir?«, fragte Jack, als sie allein waren. Sein Gesicht war verschmutzt, das Haar mit Spinnweben durchsetzt. Er trug den Arm in einer Schlinge; die Bluse, die Abby geopfert hatte, war durch einen sauberen Verband ersetzt worden. Abby selbst hatte von einem Sanitäter eine Decke um die Schultern gelegt bekommen, was allerdings nicht verhindern konnte, dass einer der seidenen Träger ihres Unterhemdchens darunter hervorblitzte.
    Zärtlich blickte sie den Mann an, den sie vor fünf Tagen noch gar nicht gekannt hatte. »Gut«, gab sie zurück. »Und selbst?«
    Jack malte sich aus, was für eine großartige Hausherrin sie in Crystal Creek sein würde und in was für ein Schmuckstück sie das Weingut verwandeln könnte. Aber er wollte seiner Sache ganz sicher sein. »Abby«, sagte er, »in deinem Bungalow stand ein Koffer. Darüber lag ein Mantel und darauf deine Tasche. Und das Flugticket hab ich ebenfalls gesehen.«
    »Ja«, erwiderte sie. »Ich gehe von hier fort.«
    Er wartete ab.
    »Jack, gestern Abend hatte ich keine Gelegenheit, dir meine Geschichte zu Ende zu erzählen. Ich wurde nicht aus dem Gefängnis entlassen. Ich floh. Seither stehe ich auf der Fahndungsliste des FBI . Auf meinen Kopf ist eine Belohnung ausgesetzt. Deswegen habe ich mich hier versteckt.«
    »Und jetzt willst du erneut weglaufen?«
    »Nein. Seit ich zu Unrecht verurteilt wurde, wollte ich um meine Rehabilitation kämpfen. Zuvor aber musste ich meine Tochter finden. Sie bedeutete mir alles. Sobald ich sie ausfindig gemacht und mich überzeugt hätte, dass sie glücklich ist, wollte ich mich um meinen Freispruch wegen erwiesener Unschuld kümmern. Als mich der Privatermittler informierte, er sei über einen illegalen Adoptionsring auf eine Spur
zu meinem Kind gestoßen, setzte ich mich mit einem Strafverteidiger in Houston in Verbindung. Er erklärte sich bereit, meinen Fall zu übernehmen. Seine Kanzlei hat die Prozessakten eingesehen und sich um Zeugen bemüht.«
    Zeugen, die sich zur Tatzeit des Mordes an Avis Yocum in der Gärtnerei aufgehalten hatten: Touristen, die zu befragen ihr damaliger Pflichtverteidiger sich gar nicht erst die Mühe gemacht hatte, die sich aber noch daran erinnerten, an diesem Tag, dem Labor Day, in der Gärtnerei gewesen zu sein, schon weil sie dort von einem jungen Mädchen mit rotgoldenem Haar vor einem riesigen Saguarokaktus namens Horny Sam fotografiert worden waren.
    Auch der Busfahrer des Greyhound war ausfindig gemacht worden. Er war zwar längst pensioniert, wusste aber noch, dass an besagtem Morgen an einer gottverlassenen Kreuzung in Neu Mexiko ein junges Mädchen zugestiegen war, für ihn das erste Mal überhaupt, dass hier jemand einstieg. Somit ließ sich beweisen, dass Abby nicht in den Überfall auf den Spirituosenladen, bei dem es Tote gegeben hatte, verwickelt war. Auf die Frage, was aus der Schwarzen namens Mercy geworden sei, hatte sie geantwortet, das wisse sie nicht.
    »Jack, es ist Abby Tyler, die The Grove auf Nimmerwiedersehen verlässt. Wer zurückkommt, wird Emily Louise Pagan sein.«
    Wirklich mutig, befand Jack. Statt unter einem anderen Namen abzutauchen, wollte sie mit offenem Visier für ihren Freispruch kämpfen.
    Er zog das Fahndungsplakat heraus und zerriss es in kleine Fetzen, die er Abby in die Hand drückte. »Vermutlich hätte ich dich sowieso nicht verhaftet. Nicht nach allem, was sich in den letzten Tagen ereignet hat. Und weil man mit geballten Fäusten nicht klar denken kann.«
    Tränen schossen ihr in die Augen. »Ich dagegen habe erlebt,
wie weit sich einem das Herz öffnen kann. Jahrelang glaubte ich, in meinem sei einzig Platz für meine Tochter. Dabei ist da immer noch Raum für mehr.«
    Er strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Du und ich, wir haben nicht in der Gegenwart gelebt, Abby, sondern uns in ein Wirrwarr aus Vergangenheit und Zukunft verstrickt. Wenn sich ein Problem abzeichnete, sagten wir uns, das würden wir anpacken, wenn es so weit wäre. Wir haben es jedoch immer mit einkalkuliert.

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