Wilder Oleander
Aber weißt du was? Niemand hat je ein Problem gemeistert, ehe es sich stellte. Wir müssen beide lernen, im Heute zu leben und nicht an das zu denken, was morgen sein mag.«
Er zog sie an sich und küsste sie im Beisein von Zeb und Vanessa und Uri Edelstein und Francesca und den Gehilfen des Sheriffs.
Abby warf einen Blick hinüber zu den Höhlen, aus denen erschöpfte Männer mit staubverkrusteten Gesichtern wankten. »Ob sie ihn wohl jemals finden werden?«
Jack schüttelte den Kopf. »Die Wüste hat ihren Tribut eingefordert.« Insgeheim hegte er noch eine weitere Vermutung über Michael Fallon – dass er der Mann war, der hinter Ninas Ermordung stand. Jetzt, da Jack einen greifbaren Verdacht hatte, könnte er nach weiteren Beweisen suchen und manche bisher unentzifferbaren Passagen in Ninas Aufzeichnungen neu untersuchen – etwa die Abkürzung » MF «, die ihm bisher Rätsel aufgegeben hatte. Jack zweifelte nicht daran, klare Hinweise auf Mike Fallon zu finden. Der Mordfall und Nina selbst könnten dann in Frieden ruhen.
Er schaute zu Francesca, um deren Stirn ein weißer Verband prangte, und hoffte, dass der jungen Frau ein glückliches Leben beschieden sein würde.
Nachdem Francesca der Krankenschwester gedankt hatte, wandte sie sich an den langjährigen Freund ihres Vaters.
»Onkel Uri, wusstest du von all dem?« Aber ihr Blick hing an Abby, die sie ebenfalls ansah. Mutter und Tochter, die beide im Bann des Augenblicks standen und überlegten, wie sie den ersten Schritt machen sollten.
Uri Edelstein hatte nicht lange dem Sturm getrotzt und an einem sicheren Ort abgewartet, bis das Unwetter vorbei war. Auch er war mit Staub bedeckt und müde. Und er hatte seinen besten Freund verloren. »Dass du nicht Michaels leibliche Tochter bist? Nein. Das hat er niemandem verraten. Ich schöpfte erst Verdacht, als vor ein paar Monaten ein Informant berichtete, dass sich eine gewisse Abby Tyler nach Michaels Vergangenheit erkundigt hätte. Auf einem alten Foto, das wir uns von ihr verschaffen konnten, fiel mir die Ähnlichkeit mit dir auf. Aber das behielt ich für mich. Und als wir dann hier ankamen und ich Abby persönlich kennen lernte, begriff ich, warum Michael hergeflogen war. Tylers Existenz stand seinen Plänen im Wege.«
Jack und Abby gesellten sich zu ihnen. »Miss Tyler«, sagte Uri, »im Büro von Michael Fallon im Atlantis befindet sich ein gesonderter Safe. Was er enthält, hat er mir nie gezeigt. Aber er bezeichnete den Inhalt als seine Absicherung und wies mich an, im Falle seines Todes alles aus diesem Safe zu verbrennen, um sicherzugehen, dass nichts davon bekannt wird. Ich vermute, Miss Tyler, dass es sich dabei um die von Ihnen gesuchte Aufstellung über die Adoptionen handelt. Ich werde sie Ihnen selbstverständlich zukommen lassen.«
»Danke, Mr.Edelstein.«
Liebevoll wandte sich Abby an Francesca. Wie schön ihre Tochter war! »Wie fühlst du dich inzwischen?«
»Schon besser, danke. Die Schwester hat mir ein Schmerzmittel gegeben.« Ihre grünen Augen sahen Abby unverwandt an. »Ich kann noch immer nicht glauben, dass du meine Mutter bist … «
»Würdest du mir glauben«, sagte Abby, »wenn ich dir sagte, dass ich ein Foto von dir habe, das dich im Alter von sechzehn Jahren zeigt?«
Francesca stutzte.
Abby löste den Verschluss ihrer Halskette, an der ein goldenes Medaillon hing. Als sie es öffnete, kam das Foto eines lächelnden Mädchengesichts zum Vorschein. Francescas Augen wurden kugelrund. »Wo hast du denn das her?«
»Das bist du doch, oder?«
»Natürlich! Es wurde am Lake Mead aufgenommen, irgendwann im Sommer … «
Abby schüttelte den Kopf. »Nein. Das bist nicht du, Francesca. Sondern meine Mutter. Deine Großmutter. Sie starb, als ich noch sehr klein war.«
Francesca starrte das Foto an.
»Tut mir Leid«, flüsterte Abby. »Du wurdest mir weggenommen, aber ich hab die Suche nach dir niemals aufgegeben.« Sie strich Francesca über das rotgoldene Haar. »Meins ist zwar braun eingefärbt, aber von Natur aus hab ich die gleiche Haarfarbe wie du. Mit etwas Grau vermischt«, fügte sie schmunzelnd hinzu.
Mit Tränen in den Augen wollte Francesca das Medaillon zurückgeben, aber Abby sagte: »Behalte es.«
»Erzähl mir doch mal«, drängte die unvermittelt wissbegierige Francesca, »erzähl mir doch mal was über meinen leiblichen Vater.«
Abby erschrak. Sie hatte gewusst, dass es eines Tages dazu kommen würde, und jetzt war es so weit. Dreiunddreißig Jahre
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