Wilder Oleander
spiegelte sich die ganze Erfahrung ihrer zwanzig Jahre. »Denk immer dran, dass es die Männer sind, die die Spielregeln aufstellen. Du und ich, wir sind ins Gefängnis gesteckt worden, weil wir Frauen sind und weil wir uns nicht an die Spielregeln der Männer gehalten haben. Sie machen uns Babys, dann bestrafen sie uns, weil wir Babys kriegen, und dann nehmen sie uns unsre Babys weg. Ich hab einen brutalen Zuhälter umgebracht und du hast niemanden umgebracht. Aber nicht deshalb hat man uns eingebuchtet. Sondern weil wir Frauen sind und über unseren Körper selbst bestimmen wollten.«
Jetzt weinten beide hemmungslos. Um sich nicht ständig mit den Ärmeln die Tränen wegwischen zu müssen, öffnete Emmy Lou auf der Suche nach Papiertüchern das Handschuhfach. Etwas Schwarzes und Schweres polterte heraus.
»Allmächtiger!«, entfuhr es Mercy.
Emmy Lou starrte auf den Revolver. Er gehörte dem Gefängnisaufseher, in dessen Auto sie saßen. Hastig griff sie nach der Waffe, legte sie zurück und drückte das Handschuhfach zu.
»Ich werde sie finden«, sagte sie und meinte damit ihr Baby.
»Nimm dich in Acht«, warnte Mercy sie voller Sorge. »Weil du dann noch mehr Männern in die Quere kommst und noch mehr Spielregeln verletzt, und das wird ihnen nicht schmecken. Männer, die Babys klauen und verkaufen, sind nie und nimmer Heilige. Sondern gefährlich. Und wir, zwei entsprungene Häftlinge, werden uns doch nicht der Knute eines Mannes beugen. Also pass gut auf dich auf. Und leg dir ’nen andern Namen zu.«
Emmy Lou schaute sich das Foto ihrer Mutter an, das Jericho in den Koffer gepackt hatte. Eine lächelnde junge Frau mit dem gleichen rötlich-blonden Haar wie ihrem. Tyler Abilene Pagan – nach der Stadt, in der sie empfangen und geboren worden war –, die zusammen mit ihrem Ehemann bei einem Verkehrsunfall ihr Leben verloren hatte. Emmy Lou würde den Namen ihrer Mutter annehmen.
»Das werde ich dir nie vergessen, Mercy. Und ich werde versuchen, irgendwann mal das Gleiche für dich zu tun.«
Sie umarmten sich, küssten sich gegenseitig die feuchten Wangen, dann stieg Emmy Lou aus. Nachdem Mercy losgefahren und, der aufgehenden Sonne entgegen, entschwunden war, wandte sie ihren Blick nach Westen. Richtung Kalifornien und Bakersfield.
Und wie sie da ganz allein auf dem menschenleeren Highway stand, der Wind an ihr zerrte und meilenweit nichts als Kakteen zu sehen waren, schwor sich die knapp siebzehnjährige Emily Louise Pagan, ab sofort Abilene Tyler, dass sie sich nicht nur nie wieder verlieben, sondern dass sie vor allem zwei Ziele verfolgen würde: ihr Kind zu finden und niemals mehr zum Opfer zu werden …
Beide Ziele hatte sie verfolgt, und jetzt, dreiunddreißig Jahre später, war sie bereit, mit dem schäbigen Koffer, in dem sich etwas Kleidung zum Wechseln, Toilettenartikel sowie ein Flugticket befanden, abermals loszuziehen. Noch vor Ende der Woche würde Abby diesem Ort, den sie mit so viel Liebe geschaffen hatte, den Rücken gekehrt haben, um niemals wiederzukommen.
Kapitel 7
»Ja!«, jauchzte das Mädchen. »Weiter so! Fester!«
Und Fallon tat wie geheißen, stieß kraftvoll und schnell und tief in sie hinein. Die Näherin – wie sie hieß, wusste Fallon nicht – mochte es, von hinten genommen zu werden, was ihm wegen ihres wie eine Bassgeige geformten Hinterteils nur recht war.
Er hatte Francesca besuchen wollen, in der Penthaus-Suite oben im Atlantis Casino-Hotel von Las Vegas, aber nur die Näherin angetroffen, die auf dem Boden kniete und am Saum des Brautkleids arbeitete. Die Herrschaften seien zum Mittagessen ausgegangen, hatte sie gesagt, und als sie mit den Augen klimperte wie schon bei den diversen Anproben, bei denen er zugegen gewesen war, war das für ihn das Zeichen, dass sie Lust auf ihn hatte. Mit Frauen seines gesellschaftlichen Standes vögelte Fallon grundsätzlich nicht; die wurden danach zu anspruchsvoll. Die Näherin hingegen würde nach der Hochzeit am Samstag vergessen sein. Und als angenehme Überraschung hatte ein schneller Fick inmitten von jungfräulicher Spitze und bräutlichem Satin und mädchenhaften Petticoats etwas ungemein Erotisches an sich.
Michael Fallon, Inhaber des Atlantis, des größten und glitzerndsten Casino-Hotels am Strip von Las Vegas, achtundfünfzig Jahre alt, wohlhabend und gut aussehend, war das uneheliche Kind einer Kellnerin, deren Eltern, irische Immigranten, auf der Suche nach Arbeit nach Nevada gekommen
waren. Ihr Vater hatte
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