Wilder Oleander
Schluss gekommen zu sein, dass ein entscheidender Hinweis zur Klärung ihrer Herkunft im Resort zu finden wäre. Aber den konnte Jack einfach nicht ausmachen. War eventuell Ophelia Kaplan der Schlüssel zum Erfolg? Jack brauchte einen Vorwand, um sie aufzusuchen, und da traf es sich gut, dass der kleine Buchladen im Resort um diese späte Stunde noch offen war. Also überließ er die jenseits seines Patio heulenden Kojoten sich selbst und trat hinaus in die sternklare, blütenduftende Nacht.
Das Glück blieb ihm gewogen: Nach einigem Suchen stieß er auf Dr.Kaplans Ernährungsleitfaden, den Nina in höchsten Tönen gelobt und der ihr nicht nur geholfen hatte, mehr
als zwanzig Pfund abzunehmen und ihr neues Gewicht zu halten, sondern sich auch gesünder und energiegeladener zu fühlen. Dieses Buch war der Aufhänger, den er benötigte.
Er wollte gerade Elias Salazar, den Chef der Sicherheit, über Handy anrufen und Dr.Kaplans Zimmernummer in Erfahrung bringen, als er eine erregte Dr.Kaplan aus dem Haupthaus kommen sah.
Sein erfahrener Blick erfasste sofort, dass sich diese Frau an das, was sie predigte, auch selbst hielt. Gesundes Äußeres, athletisch durchtrainiert. Ophelia Kaplan könnte mit bloßen Zähnen ein Mammut häuten.
Um ihre Gemütsverfassung jedoch schien es schlecht bestellt. Irgendetwas bedrückte sie. Abby Tyler und das Thema Adoption? Jack war versucht, eine entsprechende Frage zu stellen, wollte sich aber keine Blöße geben. Er dachte daran, was Nina über diese Frau herausgefunden hatte. Wusste Ophelia Kaplan um ihre ungewöhnliche Herkunft?
»Verzeihung«, machte er sich bemerkbar. »Tut mir Leid, Sie zu belästigen, zumal ich mir denken kann, dass man Sie ständig bedrängt, aber wären Sie so nett, Ihr Buch für mich zu signieren? Ich meine,
mein
Buch?«, fügte er mit einem schüchternen Lächeln hinzu.
Überrascht wandte sie sich um, war offenbar mit ihren Gedanken so weit weg, dass sie vergessen hatte, dass auch noch andere Menschen den Planeten bevölkerten. »Gerne«, sagte sie, »kein Problem«, und nahm das Buch entgegen.
»Ich hab Sie bei Jay Leno gesehen. Sie haben ihm wirklich brillant Paroli geboten.«
»Macht immerhin zwei, die so denken: Meine Mutter und jetzt auch noch Sie.« Niemals würde Ophelia jenen Abend vergessen, als sie vor Millionen von Fernsehzuschauern das Grundprinzip ihrer These erläutert hatte. »Brot kam erst vor zehntausend Jahren ins Spiel, Jay. Dementsprechend kann unser
Körper dem Verzehr von Brot unmöglich angepasst sein. Nehmen wir an, man erfindet heute für unsere Physiologie etwas total Neues, etwas, das in der Natur nicht vorkommt und an dessen chemische Umwandlung unser Körper nicht gewöhnt ist und was folglich unser Verdauungssystem völlig durcheinander bringt und alle möglichen Erkrankungen des Körpers wie des Stoffwechsels nach sich zieht – und trotzdem lassen wir uns nicht davon abhalten, es tonnenweise zu konsumieren und zu einem Hauptnahrungsmittel werden zu lassen. Glauben Sie, dass so etwas in lächerlichen zehntausend Jahren zu einem
gesunden Nahrungsmittel
werden kann?«
Jay Leno hatte sich vorgebeugt und gefragt: »Dr.Kaplan, sprechen Sie von Twinkies-Cremetörtchen?«
Sie schlug das Buch auf der Titelseite auf und zückte ihren Stift. »Für wen ist es gedacht?«
Er zögerte. Widmete man Toten Bücher?
Wenn aber Nina noch am Leben wäre, hätte sie sich über das Buch mit Widmung gefreut. »Für Nina«, sagte er leise, »die wunderbarste Adoptivschwester, die ein Bruder je gehabt hat.«
Ganz kurz zeichnete sich so etwas wie ein Fragezeichen in Ophelias Blick ab, dann schrieb sie die Widmung, unterzeichnete mit ihrem Namen und reichte ihm das Buch zurück. »Viel Glück«, sagte sie, ohne recht zu wissen, warum.
»Ich habe erst vor kurzem erfahren, dass sie adoptiert war«, meinte er so unverbindlich-freundlich wie möglich.
Ophelia schaute ihn verwundert an, ohne jedoch irgendwie auf das Wort »adoptiert« zu reagieren, blinzelte dann und sagte: »Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden -«, um dann selbstbewusst auf dem Absatz kehrt zu machen und zu gehen.
Jack sah ihr einen Augenblick lang nach. Er war in einer weiteren Sackgasse gelandet. Ziellos schlenderte er an Farngewächsen,
Palmen und plätschernden Springbrunnen vorbei. Eigentlich war es zum Verrücktwerden! Da waren drei Frauen nach The Grove gelockt worden, weil sie angeblich in einem Preisausschreiben gewonnen hatten. Sie kannten Abby Tyler nicht, und
Weitere Kostenlose Bücher