Wilder Oleander
Blitzen drängte es aus ihr heraus. Aber als sie dann mit der Geschichte von der Kristallkugel herausrückte und auch Daisy erwähnte, die ihr versichert hätte, sie würde ihrem Seelenpartner hier begegnen, »in der untergehenden Sonne«, hoffte sie einerseits, er würde ausrufen: »Ja! Ich hab genau so einen Traum gehabt! Ich bin es, nach dem Sie suchen!« Und andererseits baute sie darauf, dass er sagen würde: »Damit bin eindeutig nicht ich gemeint, es ist wohl besser, wenn ich Sie in Ruhe lasse.«
Er lauschte nachdenklich, sagte dann: »Woher wissen Sie, dass das nicht auf mich zutrifft?«
»Daisy bezeichnet ihn immer wieder als weltoffen und weit gereist.«
»Warum fliegen wir dann nicht nach Paris?«
O lieber Gott, wie gerne!
»Coco, warum nicht einfach alles auf sich zukommen lassen, wie andere das auch tun?«
»Das hab ich doch versucht! Kenny, ich sehne mich nach einer Beziehung wie der meiner Eltern. Nach all dem Schönen, das sie bisher miteinander erlebt haben.«
»Das könnten wir beide zusammen auch«, sagte er leise.
»So viele meiner Beziehungen sind zu Bruch gegangen … «
»Woher weißt du, dass es mit unserer nicht klappt, wenn du dich von vornherein dagegen sperrst? Zufällig wünsche ich mir nämlich auch so etwas. Eine Familie. Liebevolle Eltern. Nur nicht aus dem gleichen Grund wie du. Sondern weil ich ein Waisenkind bin.«
Sie starrte ihn an. Ein Waisenkind war für sie etwas Neues.
»Meine leibliche Mutter konnte mich nicht behalten, und die Leute, die mich adoptiert hatten, überlegten es sich dann wieder anders. Also kam ich in ein Heim. Und von dort aus zu allen möglichen Pflegeeltern, aber nie lange genug, um mit ihnen warm zu werden.«
Coco schnürte es die Kehle zusammen. Ihre Gefühle wirbelten durcheinander. Zum ersten Mal in ihrem Leben verschlug es ihr die Sprache.
»Ms. McCarthy?« Coco riss es schier vom Stuhl. Vanessa Nichols stand vor ihr, umwerfend anzusehen in einem sie umfließenden, gold eingefassten blauen Kaftan. »Verzeihen Sie, wenn ich störe. Ich möchte Sie zu Ms. Tylers Residenz bringen.«
Das Abendessen mit ihrer Gastgeberin. Coco hatte es total vergessen. Sie verabschiedete sich von Kenny und folgte Vanessa, seine Blicke im Rücken.
Abby war nervös. Dreißig Jahre lang hatte sie nach ihrer Tochter gesucht. Stand endlich ein Wiedersehen bevor?
Sissy hatte abgesagt. Sie hatte verärgert geklungen. Abby hätte gern den Grund erfahren, ließ es aber dann auf sich beruhen. Und Ophelia hatte sich abermals entschuldigt; sie müsste arbeiten. Blieb nur noch Coco.
Während sie ihre Kleider durchprobierte, um einen möglichst guten Eindruck zu machen, dachte sie wieder an die Nacht, in der sie ihr Kind empfangen hatte. Mochte sie sich auch einem Fremden hingegeben haben: Das Baby war in Liebe gezeugt worden. Würde sie jetzt, nach Jahren der Suche, nach der Verfolgung immer wieder falscher, in Sackgassen endender Spuren, tatsächlich mit ihrer Tochter vereint?
»Wir sind da«, sagte Vanessa, als sie auf die Privatwohnung zugingen. Sie sah Coco mit glänzenden Augen an und fragte sich: Bist du das kleine Baby, das ich vor dreiunddreißig Jahren aus dem Gefängnis getragen habe? Mit einem »Viel Glück« klopfte sie an die Tür.
Coco wunderte sich ob dieses Wunsches, als sie mit Vanessas Kaftan in Berührung kam und ein Blitz sie durchzuckte. Etwas sehr Merkwürdiges ging von dieser Frau aus. Das Gefühl, als ob sie nicht wirklich da wäre, gleich verschwinden würde. Sie war bereit zur Flucht.
Weil Coco einfiel, dass Vanessa heimlich in Zeb, den weißen Jäger aus Afrika, verliebt war, hätte sie sie gern ermuntert, Zeb zu sagen, was sie für ihn empfand, bevor es zur Trennung kam, sah sie doch ganz deutlich voraus, dass Vanessa nicht mehr lange hier sein würde, dass ihr eine lange Flucht bevorstand und dass sie Zeb, wenn sie ihn weiterhin im Ungewissen ließ, für immer verlieren würde.
Aber da Coco mit dieser Gewohnheit, ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen, brechen wollte, schwieg sie. Vielleicht verärgerte
sie Vanessa doch nur, wenn sie sich in deren Privatleben einmischte.
Abby Tyler öffnete und hieß Coco mit einem warmherzigen Lächeln willkommen.
Sie reichten sich die Hände, und da der Blitz, den Coco empfing, derart stark war, konnte sie nicht anders als anzumerken: »Etwas bedrückt Sie.«
»Ja«, antwortete Abby kurz und knapp. Sie wusste von Cocos hellseherischen Fähigkeiten und fragte sich, wie weit sie wohl reichten.
Weitere Kostenlose Bücher