Wilder Sex und heiße Küsse
wiederholte er und lehnte sich drohend in seinem Stuhl nach vorne.
Die alte Frau bekam große Augen. Daniel hielt die Luft an. Jetzt hatte er es zu weit getrieben. Er konnte es sich nicht leisten, dieses armselige kleine Zimmer in diesem armseligen kleinen Haus in dieser armseligen kleinen Stadt zu verlieren. Nicht jetzt, wo er beinahe sein Talent wiedergefunden hatte. Verzweifelt überlegte er sich eine Entschuldigung.
Da lachte Edna auf einmal.
“Oje! Dich hat’s ganz schön erwischt. Es frisst dich ja bei lebendigem Leib”, sagte sie und blinzelte wieder. “Na, wenn du es nicht mehr aushältst, kannst du ja zu mir kommen.”
War das schon wieder ein Annäherungsversuch? Er wollte fragen, aber aus Angst vor einer Antwort schwieg er lieber.
“Die erste Tür links”, sagte sie, drehte sich um und verließ das Zimmer.
Daniel brauchte eine Viertelstunde, um sich wieder auf seinen Roman konzentrieren zu können, und weitere zwei Viertelstunden, um sich die Aussichtslosigkeit einzugestehen. Er brauchte eine Zigarette dringender als frische Luft, und der Cursor blinkte ihn an wie ein verdammter Zyklop.
Da roch er den Kaffee. Er stand auf und schnüffelte dem Duft hinterher wie ein Wolf einer Fährte. Rauchen und Kaffee trinken gleichzeitig aufzugeben war auch ein bisschen viel verlangt, oder?
Die alten Stufen knarrten, als er ins Erdgeschoss ging. Aus dem Musikzimmer hörte er Metall gegen Glas klirren. Mücke kicherte. Jessica lachte.
Daniel marschierte schnurstracks Richtung Küche. Kaffee! Er goss sich einen Becher ein, nahm einen Schluck und schloss voller Genuss die Augen.
Nach dem halben Becher fühlte er sich schon einigermaßen besser. Er schenkte nach und ging zur Treppe zurück. Doch oben würde es schwer werden, plausible Arbeitsvermeidungsmaßnahmen zu ergreifen. Selbst das Reden mit Ortsansässigen erschien ihm im Moment attraktiver, also öffnete er die Tür zum Musikzimmer.
“Du hast den Kaffee gefunden”, stellte Jessica fest.
“Ja”, sagte er, und da das Koffein seine Laune gebessert hatte, fügte er hinzu: “Danke, ich …” Doch in diesem Moment trat Mücke zur Seite und gewährte Daniel ungehinderte Sicht auf den stählernen Operationstisch.
Ein großer gelber Hund lag dort auf dem Rücken. Die Zunge hing ihm aus dem Maul, doch das war kaum der Körperteil, der Daniels Aufmerksamkeit erregte.
Jessica blickte auf, ihre Hände in den OP-Handschuhen verharrten über dem sauberen Schnitt. “Kein Problem. Ich trinke selbst ja lieber Kamillentee, aber da du das Rauchen aufgegeben hast, dachte ich, Kaffee wäre eine gute Idee.”
Daniel schluckte, räusperte sich und versuchte, das Operationsgeschehen zu ignorieren. “Hm.”
Sie zuckte mit den Schultern. “Schon mal eine Sterilisation gesehen?”
Himmel, irgendwie war es beunruhigend, Jessica an männlichen Geschlechtsteilen herumschnippeln zu sehen, selbst wenn es nur bei einem Hund war. “Nein.”
“Aber du kannst doch Blut sehen, oder?”
Er schluckte. “Ich dachte, ich hätte dir von meiner Arbeit in Irland erzählt.”
Jessica schmunzelte kurz. “Jetzt da abbinden, Mücke. Wo ist die Schere?”
Daniel empfahl sich im Stillen, lieber zu gehen. Sein Roman wartete. Aber er blieb wie angewurzelt stehen und starrte fasziniert auf den Hund.
“Ist das Max?”, fragte er schließlich.
“Ja. Woher weißt du das?”
“Ich habe ihn an der Ohrenklemme erkannt”, antwortete er und deutete nickend auf einen Nebentisch, wo die komische rote Klammer lag.
“Ach, das war Grandmas Idee. Ein Infektionsschutz.”
Daniel nickte, als verstünde er.
“Labradors bekommen wegen der Hängeohren leicht Ohrentzündungen, weil keine Luft rankommt. Also hat Edna sich das mit der Klemme ausgedacht, zur Belüftung.”
“Gibt es denn dafür keine Medikamente?”
“Doch”, sagte sie. “Aber warum Medikamente nehmen, wenn man denselben Effekt für weniger Geld erreichen kann?”
“Weil das deine Arbeit ist?”
Sie warf ihm einen strengen Blick zu. “Meine Arbeit besteht darin, Tiere gesund zu machen und zu erhalten.”
“Hm.” Das war wieder typisch Jessica Sorenson. Eine Ärztin, die Medikamente vermied. Ein Mädchen vom Land mit Zehennägeln wie eine Bartänzerin. Eine Frau ohne Scheu vor fettem Essen, die jedoch Koffein mied wie die Pest. Eine Frau mit tausend Widersprüchen – aber wer war sie wirklich?
Zuerst hatte er ja gedacht, sie hätte sich in den letzten Jahren überhaupt nicht verändert, aber mittlerweile hatte
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