Wildes Begehren
zwar aus wie ein Mensch, doch Isabeau wusste, dass er in diesem Augenblick ganz Leopard war, nur ohne die äußere Form. Jetzt verstand sie, was er gemeint hatte, als er sie aufforderte, ihre Katze bis nahe an die eigene Oberfläche kommen zu lassen. Er selbst wirkte genau wie eine Großkatze; die dicken Muskelstränge unter seiner Haut bewegten sich zeitlupenartig, wie bei einem Raubtier auf Schleichjagd, das sich mit gesenktem Kopf und starrem Blick auf die Beute konzentriert. Vorsichtig setzte er einen Fuß vor den anderen, um sich lautlos anzupirschen. Als der Mann schräg links vor ihm auftauchte, horchend stehenblieb und sich wachsam umschaute, hielt Conner zum Sprung geduckt inne, die kräftigen Muskeln und Sehnen angespannt.
Isabeau stockte der Atem, als der Mann, die todbringende Waffe über die Schulter geschlungen, aus dem Gebüsch trat und genau in Conners Richtung spähte. Ihr Herz klopfte schneller, und ihre Finger gruben sich tiefer in die dichte Vegetation, so als ob ihre Katze sich darauf vorbereitete, aufzuspringen und anzugreifen. Aber sie beherrschte sich, blieb mucksmäuschenstill und spürte dabei jenes andere Wesen, das sich in ihr regte – ja, konnte es sogar schon riechen -, zusammen mit den Bewegungen unter ihrer Haut, dem Schmerz im Kiefer und dem Bedürfnis, das Tier freizulassen.
Schwer atmend hielt sie den Blick auf das tödliche Schauspiel gerichtet, das sich nur wenige Meter entfernt abspielte.
Über ihr flatterten Flügel, und etwas Schweres brach durch das Baumkronendach. Ein Affe kreischte. Der Mann schaute hoch, und Conner sprang. Isabeau sah den gewaltigen Satz, trotzdem konnte sie kaum glauben, mit welch erstaunlicher Körperkraft er sich auf den Bewaffneten stürzte. Mit der Wucht eines Rammbocks stieß er den Mann um, und das Geräusch der beiden Körper beim Zusammenprall war furchtbar. Conner war so elegant und geschmeidig über den Boden geflogen, dass sie beinah erwartete, er würde seinem Opfer nach Leopardenart die Kehle herausreißen und ihm die Eingeweide zerfleischen. Doch Conner drehte den Mann herum und nahm ihn mit unerbittlichem Griff in den Schwitzkasten.
Dieses Bild von ihm sollte sie nie vergessen: Kraftstrotzend, das Gesicht eine Maske gnadenloser Entschlossenheit, hielt er sein Opfer mit hervortretenden Armmuskeln in einer tödlichen Umklammerung, die beinah identisch war mit der einer Raubkatze, die ihre Beute bis zum Erstickungstod an der Kehle gepackt hält. Eigentlich hätte sie der Anblick abstoßen sollen. In ihren Augen musste Conner doch umso widerlicher erscheinen. Doch trotz der breiten Blätter, die seinen erbitterten Kampf mit dem wild um sich schlagenden Gegner zu verbergen suchten, konnte sie die Szene genau beobachten. Die Gegenwehr des Mannes erlahmte zusehends, am Ende trommelte er nur noch mit den Hacken seiner Stiefel auf den Boden ein. Dann hörte sie das deutliche Knacken, mit dem sein Genick brach, danach war es still.
Conner ließ den Mann langsam zu Boden gleiten, wandte den Kopf und sah sich um, als hätte er etwas gehört. Sein Körper blieb angespannt, bereit für einen weiteren Angriff.
Vorsichtig nahm er dem Toten die automatische Waffe und den Patronengurt ab und hängte sich beides um den Hals. Geduckt schlich er weiter, die Augen auf etwas gerichtet, das Isabeau nicht sehen konnte.
Sie spitzte die Ohren, um herauszufinden, was Conner alarmiert haben könnte. Leise Stimmen näherten sich. Zwei Männer waren noch ein Stück weit entfernt. Zunächst konnte sie nicht verstehen, was die beiden sagten, doch dann wurde ihr klar, dass sie ihre eigenen Ohren anstrengte und das erstaunlich scharfe Gehör ihrer Katze ganz vergessen hatte. Sie holte tief Luft und versuchte, das Tier zur Hilfe zu rufen.
»Wir können nicht mit leeren Händen zurückkommen, Bradley«, sagte der eine. »Sie wird uns lebendig begraben, nur um ein Exempel zu statuieren. Wir brauchen eine Leiche.«
»Wie sollen wir diesen Ältesten denn finden?«, blaffte Bradley. »Im Urwald ist er unsichtbar wie ein Gespenst.«
»Das Feuer wird ihn zum Fluss treiben, wo die anderen warten«, erwiderte der Erste. »Komm schon, schieß einfach und weiter.«
»Ich hasse diese Gegend«, jammerte Bradley.
Isabeau beobachtete Conner. Er war offenbar nicht überrascht. Er hatte die ganze Zeit gewusst, was die Angreifer vorhatten. Alles, was im Regenwald lebte, würde auf der Flucht vor den Flammen zum Fluss laufen. In dieser Jahreszeit war der Wald feucht, daher würde das
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