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Wildes Blut

Wildes Blut

Titel: Wildes Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Brandewyne
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die Röcke der Damen waren schmal und eng, und die Säume krochen langsam (skandalös, wie Rachel fand) nach oben. Nach all den Jahren paßte das Kleid immer noch perfekt.
    Sie betrachtete sich im Spiegel und wäre sicher in Tagträume über ihren Hochzeitstag verfallen, wenn sie nicht plötzlich ein knatterndes Geräusch und ein Tuten gehört hätte. Jemand brüllte nach ihr! Verwirrt lief sie zum Fenster, um nach der Ursache des Lärms zu sehen.
    »Was, zum Teufel – ach du lieber Himmel!« rief sie, als sie den Vorhang beiseite gezogen hatte. »Der verfluchte alte Mann wird sich doch noch umbringen!«
    Denn da war Slade Maverick, seit vierzig Jahren ihr Ehemann, strahlend wie ein Honigkuchenpferd, in einem brandneuen Automobil, das wie ein Betrunkener über den Rasen schwankte, weil er noch nie eine dieser neuen Maschinen besessen hatte und keine Ahnung vom Fahren hatte. Er sah so aufgeregt aus wie ein Kind am Weihnachtsmorgen, und seine hellgrauen Haare und sein Schnurrbart glänzten wie Quecksilber in der strahlenden Nachmittagssonne. Ein breites Grinsen zierte sein gebräuntes, wettergegerbtes Gesicht, als er weiter auf die Hupe drückte, die sogar die Glocke der Kapelle übertönte und Rachel zubrüllte, sie solle rauskommen und sich das anschauen.
    Lachend und schreiend drängte sich alles zu dem Auto, um es aus der Nähe anzuschauen, dann liefen sie kreischend weg, als es von einer Seite zur anderen schlingerte, stotterte und krachte und rauchte. Die armen Hühner, die sonst über den Rasen stolzierten, rannten gackernd und flügelschwingend um ihr Leben, und Rachel sah, daß eines ihrer ordentlichen Blumenbeete in Gefahr war, niedergewalzt zu werden.
    »Der Herr steh uns bei«, murmelte sie vor sich hin, entsetzt und amüsiert zugleich, denn trotz seiner siebzig Jahre war Slade immer noch genauso kühn und wagemutig wie eh und je. »Es stimmt anscheinend, daß der dümmste Narr ein alter Narr ist! Hoffentlich hat er sich das furchtbare Ding nur geliehen!« Aber so wie sie ihren Mann kannte, hatte er das wohl nicht.
    In diesem Augenblick stürmte Tobias, mit seinen drei Jahren Rachels jüngster Urenkel, durch die Schlafzimmertür und schlug sie so heftig gegen die Wand, daß sie fast aus den Angeln sprang. Er war so aufgeregt, daß er wie ein Kaninchen auf und ab hopste und kaum ein klares Wort herausbrachte.
    »Grandma! Grandma! Komm, schau dir das an!« Er sprang auf ihr Bett und fing an, auf der Federmatratze zu hüpfen, so daß die Federn bedrohlich quietschten. »Grandpa hat ein Automobil für deinen Hochzeitstag gekauft!« Er bestätigte damit, was sie ohnehin schon gewußt hatte. Dann sprang er vom Bett, landete auf allen vieren und rutschte ein Stück mit dem Flickenteppich über den Boden. »Juhuu!« schrie er und sprang auf. Dann packte er Rachels Hand und zerrte sie ungeduldig zur Tür. »Komm, Grandma! Beeil dich! Schnell! Schnell. Grandpa will, daß du dir’s anschaust!«
    »Ich bin zu alt, um mich so schnell zu bewegen«, erwiderte sie, als der Junge übermütig und ungeduldig noch mal auf ihr Bett sprang, »und hör auf, auf meinem Bett herumzuhopsen, sonst bricht es zusammen. Ich bin nicht zu alt, um dir den Hosenboden strammzuziehen! Paß bloß auf, Tobias Maverick!« drohte sie mit erhobenem Zeigefinger, obwohl sie Mühe hatte, ein ernstes Gesicht zu machen angesichts seines fröhlichen Kicherns.
    Von all ihren Enkeln und Urenkeln war Rachel dieser gescheite, energiegeladene kleine Junge mit seinem frechen Grinsen und seiner unverschämten Art der liebste. Er hatte ein schönes Gesicht, ständig zerzauste schwarze Locken und ein teuflisches Blitzen in seinen dichtbewimperten blauen Augen; er erinnerte sie sehr an das Baby Tobias, daß sie es nie fertigbrachte, dem Jungen richtig böse zu sein. Das nutzte ihr Urenkel schamlos aus und wickelte sie genauso leicht um den Finger, wie Slade das immer getan hatte.
    »Wenn du nicht zu alt bist, mich zu vertrimmen, bist du auch nicht zu alt, um dich zu beeilen, Grandma«, sagte Tobias frech, krabbelte vom Bett und zerrte wieder an ihrer Hand.
    »Hmmf! Naseweis! Ab mit dir«, befahl sie. »Ich bin schon ganz erschöpft, wenn ich dich nur anschaue. Geh jetzt«, sagte sie. »Los! Ich komme gleich.« Nachdem der Junge losgerannt war, marschierte Rachel zurück zum offenen Fenster, steckte den Kopf hinaus und schrie: »Hör mit der dämlichen Huperei auf, Slade Maverick, sonst sind alle Nachbarn im Umkreis von zehn Meilen bis Sonnenuntergang taub! Ich

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