Wildes Blut
beschlossen, ihr den Marshal nicht auf den Hals zu hetzen, weil er selbst sicher eine Reihe von Gründen hatte, ihm aus dem Weg zu gehen. Sie seufzte und wünschte sich keine Sorgen mehr machen zu müssen.
Sie schwang beim Gehen ihren Eierkorb und atmete tief die Morgenluft ein. Sie roch frisch und sauber, wie immer nach einem Sturm, genauso wie die dunkle, schlammige Erde unter ihren Stiefeln. Der steife Wind war kühl, und trotzdem glaubte Rachel, darin einen Hauch von Frühling zu spüren. Hoffentlich stimmt das, dachte sie, denn sie hatte die Nase voll vom grauen Himmel, von Schnee und Graupel und davon, nachts trotz der Feuer in Herd und Ofen vor Kälte unter ihrer Decke zu zittern. Sie sehnte sich nach blauem Himmel, dem ersten Grün der Präriegräser, dem Blühen der Wiesenblumen und dem sanfter werdenden Wind, der immer über die Prärie strich, zärtlich wie ein Wiegenlied im Sommer, laut wie eine Symphonie im Winter, aber immer präsent.
Als Rachel eines der schweren Scheunentore öffnete, mußte sie mit Erstaunen feststellen, daß Gideon bereits da war, die Tiere fütterte und tränkte, während der zehnjährige Caleb die Kühe molk. Caleb hatte auch den Wurf Katzen, der erwartungsvoll in der Nähe saß, unterm Arbeiten mit ein paar Spritzern der warmen, schaumigen Flüssigkeit versorgt.
»Wir haben das besprochen – wir alle –, gestern nacht, nachdem du schlafen gegangen warst, Tante Rachel, und wenn wir hierbleiben, wenigstens für eine Weile, werden wir unseren Unterhalt verdienen«, sagte Gideon, als er ihren fragenden Blick sah. »Wir wissen, wie schwer es für dich war, dich um uns zu kümmern und – und um … Ma. Wir wollen keine Almosen.«
Bei diesen Worten schossen Rachel die Tränen in die Augen, und sie konnte sie nur mit Mühe unterdrücken, denn da sprach India aus dem Jungen. Sie war gerührt von dieser unerwarteten Ankündigung und erinnerte sich voller Trauer an ihre tote Freundin. Jonathan hätte sicher auch seine Hilfe angeboten, aber nur widerwillig und in der Hoffnung, sie würde abgelehnt. Aber Gideons kindliches Gesicht war so stolz und so herzzerreißend entschlossen, als würde er in Tränen ausbrechen, sollte Rachel seine angebotene Hilfe ablehnen, daß sie keine andere Wahl hatte, als anzunehmen.
Also sagte sie: »Aber natürlich, keiner von uns mag Almosen, Gideon. Das hätte ich auch nie von dir gedacht. Hier gibt’s genug Arbeit für uns alle, und ich erwarte, daß ihr Kinder euren Anteil erledigt, genau wie ihr es zu Hause immer getan habt. Um ehrlich zu sein, ich bin dankbar für eure Hilfe.«
Das zumindest war wahr, denn seit dem Tod ihrer Eltern, die bei einem Tornado vor einigen Jahren umgekommen waren, hatte Rachel mit der Farm mehr Arbeit, als sie verkraften konnte. Natürlich machte Poke die meiste schwere Arbeit, und ihr Großvater half ihr, so gut es seine Behinderung erlaubte. Trotzdem hatte sie immer das Gefühl, der Tag hätte nicht genug Stunden.
»Wenn du hier fertig bist, Gideon, frage Poke, was du als nächstes tun sollst. Caleb, bring’ die Milchkannen ins Haus und stell sie für mich auf den Küchentisch, wenn du fertig bist.«
»Ja, Ma’am«, sagten die Buben im Chor und lächelten schüchtern.
Im Schweinekoben entdeckte Rachel Philip, der pflichtschuldigst die Schweine versorgte. Im Hühnerhaus streute die neunjährige Susannah Futter und sammelte Eier ein, während die Hühner eifrig pickten. Als Rachel sah, daß sie praktisch nichts zu tun hatte, warf sie ihren Jagdhunden die Reste und Knochen vom gestrigen Abendessen zu und ging dann zurück ins Haus. Dort hatte Eve bereits aufgeräumt und den Tisch zum Frühstück gedeckt.
»Habt ihr Beechams mir denn heute gar keine Arbeit mehr übriggelassen, Eve?« fragte Rachel betreten.
»Koch das Essen, Tante Rachel«, erwiderte das Mädchen lächelnd. »Ich hab’ nicht gewußt, was Großvater Haggerty und Poke essen wollen.«
»Alles, was nicht mehr um sich schlägt«, scherzte Rachel und band sich eine Schürze um. Dann sammelte sie ein paar Säcke und Kanister aus den Küchenregalen ein.
Sie holte sich eine Tonschüssel und einen Holzlöffel, rührte Teig an, rollte ihn aus, bestäubte ihn kurz mit Mehl und schnitt Stücke für Brötchen ab. Sobald diese im Rohr waren, schnitt sie Speckscheiben zum Braten und hoffte, der Rauchspeck würde von den Heuschrecken, die sie letztes Jahr im August überfallen hatten, nicht zu faulig schmecken. Während die Speckstücke auf dem schmiedeeisernen
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