Wildes Blut
Ofen brutzelten, mahlte sie die Bohnen und kochte Kaffee. Dann rührte sie einen Topf Maisbrei an und setzte ihn auf. Zuletzt briet sie auf der Ofenplatte die frischen Eier, die Susannah eingesammelt hatte. Während Eve das Baby Tobias wickelte und fütterte, schöpfte Susannah die Milch, die Caleb gebracht hatte, in Blechtassen und stellte den Sirup auf den Tisch.
Danach versammelten sich alle zum Frühstück. Zur Überraschung der frömmeren Beecham-Kinder sprach Fremont zwar das Tischgebet und dankte dem Herrn für die Gabe, die er ihnen beschert hatte, bemerkte aber auch, daß ihre harte Arbeit viel dazu beigetragen hatte. Nachdem das gesagt war, füllten alle ihre Teller und begannen, hungrig zu essen; geredet wurde nicht viel. Trotz der Stille verspürte Rachel durch die Anwesenheit der Kinder eine unbekannte Heiterkeit. Jetzt waren sie eine richtige Familie. Sie hatte immer bedauert, daß sie keine Geschwister oder eigene Kinder hatte. Die Beechams füllten diese Lücke. Sie fühlte sich so glücklich wie schon lange nicht mehr.
Nach dem Essen überzeugte sich Rachel, daß Eve und Susannah und sogar die zweijährige Naomi sehr wohl das Aufräumen und Abwaschen beherrschten. Also zog sie ihren Mantel an, und in Ermangelung des Winterfilzhutes, den sie gestern im Silver Slipper verloren hatte, setzte sie einen Sonnenhut auf. Sie teilte ihrem Großvater mit, daß sie in die Stadt reiten würde, um herauszufinden, ob Verne Lundy tatsächlich zum Marshal gegangen war. Fremont wußte, daß Rachel sich nicht von einem einmal gefaßten Entschluß abbringen lassen würde, und murmelte etwas von verfluchten Narren, die anscheinend ihre Lektion nicht lernen konnten.
Mit Augen, die vor Liebe für ihren Großvater funkelten, erwiderte Rachel frech, daß sie, zumindest in dieser Hinsicht, ohne Zweifel seine Enkelin war. Sie küßte ihn liebevoll auf seine stoppelige Wange und erntete noch etwas Gegrummel für ihre Mühe. Dann nahm sie ihre treue Flinte, lud sie und trat hinaus in die wintrige Sonne, die dem grauen Himmel endlich ein wenig Licht gab. Sie sattelte Sunflower und machte sich auf den Weg nach Wichita.
In der Stadt angekommen, ritt Rachel die breite, matschige Hauptstraße namens Douglas Avenue entlang, über eine der Brücken, die den Großen Arkansas nahe Delano überspannte. Im Gegensatz zu Wichita war der Vorort zu dieser Stunde fast menschenleer. Die Einwohner schliefen ihre Räusche der vorigen Nacht aus. Trotzdem stieg sie erst ab, nachdem sie sich nach allen Richtungen umgesehen hatte; sie band Sunflower an den Anleinpfosten vor dem Silver Slipper fest. Da Pferdediebstahl in Kansas mit dem Tod bestraft wurde, brauchte sie selbst in Delano nicht zu fürchten, daß irgendein Landstreicher ihre Stute stehlen würde. Sie war nur um ihre eigene Sicherheit besorgt. Eine anständige Frau betrat keine Bar. Aber nachdem es ziemlich unwahrscheinlich war, daß sie jemand dabei beobachtete und sie unbedingt herausfinden mußte, ob man sie inzwischen steckbrieflich suchte, wagte Rachel es schließlich doch und trat ein.
Trotz ihrer Nervosität konnte sie nicht umhin, ihre Umgebung mit offenem Mund anzustarren. Es war das erste Mal, daß sie einen Saloon von innen sah. Sie war doch etwas enttäuscht, daß außer einer schwer mitgenommenen Bar und einigen zusammengebrochenen Stühlen und Tischen (einen Zustand, für den sie ihrer Meinung nach nicht ganz allein verantwortlich war) und einem ramponierten alten Klavier nichts zu sehen war. Nach all den Geschichten, die sie gehört hatte, hatte sie Unmengen von Kristallüstern, roten Samtportieren und zumindest Bilder von nackten Frauen erwartet. Offensichtlich war der Silver Slipper nicht mit dem Syndicate, der Spirit Bank oder dem Gold Rooms zu vergleichen, den erstklassigen Etablissements Wichitas.
Trotz der frühen Stunde war Verne Lundy bereits in Aktion. Es überraschte Rachel nicht weiter, daß er von ihrem Erscheinen nicht gerade begeistert war. Aber zu ihrem Erstaunen begrüßte er sie recht höflich, wenn auch etwas säuerlich, bevor er sagte, sie möge doch freundlichst den Anlaß ihres Besuches nennen und dann wieder gehen, solange zumindest noch ein Teil seines Saloons stand.
»Wenn Se wegen der Bezahlung von dem ganzen Schlamassel kommen – und das mit Recht, wenn ich mal so sagen darf, wo Se sich gestern so einfach aus dem Staub gemacht ham, ohne Entschuldigung und ohne mir einen roten Heller anzubieten, möchte ich noch sagen – das ist schon
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