Wildes Blut
kleinen Dinge, die ihre Hand verrieten: die vielen getrockneten Kräuter, die von den Balken hingen, die gerüschten Vorhänge am Fenster, das karierte Tischtuch und die Fleckenteppiche auf dem Boden. Alles war peinlich sauber und ordentlich. Das gefiel ihm, es sprach für sie und erinnerte ihn an die Plantage seines Vaters in Louisiana, wo es immer so angenehm nach Seife und Wachs gerochen hatte.
Slade hatte das ehrwürdige alte Haus geliebt, aber nicht seinen tyrannischen Vater, dem es gehörte. Sie hatten sich nie verstanden. Sein Vater war der Typ Mann gewesen, der ein Pferd – oder einen Jungen- getötet hätte beim Versuch, seinen Willen zu brechen, und am Ende hatte Slade es vorgezogen zu gehen, statt sich dem eisernen Willen seines Vaters zu unterwerfen. Der alte Mann war jetzt tot, genau wie seine Mutter, eine Schöne aus dem French Quarter von New Orleans. Sie war wunderschön gewesen und viele Jahre jünger als sein Vater, dessen zweite Frau sie war. Sie hätte leben sollen – sie hatte das Leben geliebt –, aber ein Fieber hatte sie hinweggerafft. Jetzt war India auch tot. Slade war der letzte der Mavericks. Dieser Gedanke beunruhigte ihn irgendwie.
Sein Blick richtete sich wieder auf Rachel, und er sah die stolze Haltung ihres Kopfes, den geraden Rücken und die schlanke Figur. Irgendwie erinnerte sie ihn an eine temperamentvolle, launische Stute. Er fragte sich, was für ein Leben sie hier wohl geführt hatte, allein mit dem alten Mann und dem Schwarzen. Es war sicher nicht leicht für sie gewesen. Sein Blick fiel auf ihre Hände. Sie waren klein und schmal, aber rot und rauh von der harten Arbeit. Vielleicht hatte ihre scharfe Zunge ihre Berechtigung. Vielleicht hatte eine Frau, die arbeitete wie ein Mann, auch das Recht, wie ein Mann frei und offen ihre Meinung zu sagen. Es machte ihn etwas nachdenklich, daß ihn das an ihr so störte. Er hatte es immer gehaßt, wenn Frauen heuchlerisch und falsch waren, und es war offensichtlich, daß Rachel Wilder weder das eine noch das andere war.
Slade erschrak, als er merkte, daß die Kinder und ihr Gepäck bereit waren. Er befahl Beecham, zur Scheune zu gehen und die Pferde anzuschirren. Jonathan nörgelte zwar leise vor sich hin, ging aber. Vielleicht hatten Fremont oder Poke dort irgendwo einen Krug Schnaps versteckt. Beecham brauchte dringend etwas zu trinken. Er war mit den Nerven am Ende, weil er Alkohol brauchte, und weil sein Schwager ihn so schlecht behandelte. Wie konnte dieser Kerl einfach hier auftauchen und alles an sich reißen, als hätte er das Recht dazu? Es machte Jonathan wütend, aber nicht so wütend, um etwas dagegen zu unternehmen. Während des Bürgerkriegs hatte er sich wohlweislich von der Front ferngehalten, wie es einem Offizier gebührte. Er war nicht so dumm gewesen, seinen Hals zu riskieren und die Truppe ohne Kommandanten zurückzulassen. Es war einfach Pech gewesen, daß man ihn gefangengenommen und in das Rock-Island-Gefängnis der Yankees gebracht hatte. Die Wachen dort waren harte Männer gewesen, und Jonathan hatte das Gefühl, daß sein Schwager aus demselben Holz geschnitzt war. Er war nicht darauf erpicht, noch einmal mit ihm zu kämpfen. Froh, seiner Gesellschaft entrinnen zu können, machte Beecham sich auf den Weg zur Scheune.
»Grandpa und Poke werden die Jungs rüberbringen, wenn sie zurück sind«, sagte Rachel und wandte sich ab, damit er ihre Tränen der Trauer über den Verlust der Kinder nicht sehen konnte.
»Sehr gut«, erwiderte er. Es war ihm sichtlich unangenehm, sie ihr wegzunehmen, obwohl er überzeugt war, das Richtige zu tun. Er berührte kurz die Krempe seines Hutes und sagte: »Guten Tag, Miss Wilder.«
Er stand jetzt so dicht bei ihr, daß Rachel sicher war, daß er unter all den maskulinen Gerüchen tatsächlich nach Kuskusgras roch. Sie liebte diesen grasigen Duft. Er erinnerte sie an die Prärie im Frühling, wenn die Gräser grün wurden und die Blumen anfingen zu blühen. Dann waren die Ebenen am schönsten, bevor der heiße Sommer sie ausdörrte.
Jetzt bemerkte sie auch, daß Slade einen leichten Akzent hatte – einen französischen, glaubte sie –, und ihr fiel ein, daß Indias Stiefmutter im French Quarter von New Orleans aufgewachsen war. Für Rachel war es höchst verwunderlich, daß der Revolvermann aus einer so feinen Familie stammte, denn er wirkte nicht sonderlich zivilisiert, so als hätte er bewußt seine Vergangenheit abgelegt.
»Auf Wiedersehen, Mr. Maverick«, sagte sie
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