Wildes Blut
aber sie brachte es nicht fertig, es ihnen zu verbieten. Sie arbeitete sogar trotz ihrer Schuldgefühle noch langsamer als die Buben und bewegte sich, als wären ihre Arme und Beine aus Blei. Fremont bemerkte es, sagte aber nichts, denn er ahnte, wie ihr zumute war. Er zündete sich seine Pfeife an, lehnte sich im Stuhl zurück und las in seiner Bibel. Poke spürte, daß Rachel nicht in der Stimmung war, Gus zu unterhalten, und forderte ihn zu einer Partie Dame heraus, wofür sie ihm unendlich dankbar war.
Aber schließlich kam doch der Moment: die letzten Krümel waren vom Tisch gekehrt, der letzte Teller abgetrocknet und ins Regal gestellt und das letzte Geschirrtuch ordentlich gefaltet und in den Korb gelegt. Rachel und die Jungs sahen sich betreten an; Schweigen senkte sich über den Raum. Doch ehe jemand etwas sagen konnte, wurde die Stille von klappernden Pferdehufen und knirschenden Wagenrädern im Hof durchbrochen.
»Wer kann das bloß sein?« fragte Rachel überrascht.
Mit der Öllampe in der Hand öffnete sie und sah überrascht und wütend, daß Slade Maverick auf der Schwelle stand. Er hat also tatsächlich eine so schlechte Meinung von mir, daß er meint, ich würde Poke daran hindern, die Jungs zurückzubringen, dachte sie erbost. Rachel wollte ihm gerade gehörig die Meinung sagen, aber da hörte sie Jubelgeschrei und Gelächter und sah voller Erstaunen den Rest der Beecham-Kinder, die fröhlich lachend und winkend mit Jonathan in den Hof fuhren. Ihr Herz machte einen Satz, und sie warf Slade einen fragenden, hoffnungsvollen Blick zu, obwohl sie nicht zu hoffen wagte, daß er seine Meinung geändert hatte und ihr die Kinder zurückbrachte. Er räusperte sich und sagte dann, offensichtlich sehr verlegen: »Ich … äh … es tut mir leid, Sie so zu überfallen, Miss Wilder«, begann er, »aber nachdem ich vorher das Haus nicht von innen gesehen hatte, war mir … äh … nicht klar, wie schwer es der Sturm beschädigt hat. Das halbe Dach ist eingestürzt, und das Wasser steht kniehoch. Das ganze Haus ist voller Schlangen und Ratten und, offen gesagt, Ma’am, es ist unbewohnbar. Ich würde nicht mal ein Schwein dort halten, ganz zu schweigen von meinen Nichten und Neffen. Ich habe daran gedacht, sie in ein Hotel zu bringen, aber es ist schon so spät, und außerdem war ich der Meinung, sie hätten genug Aufregungen hinter sich und … na ja, was ich damit sagen will, Miss Wilder, ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn sie bei ihnen bleiben könnten, bis ich ein Blockhaus gebaut habe.« Slade hielt inne, griff in seine Tasche und zog ein Bündel gefalteter Geldscheine heraus. »Ich zahle natürlich für Kost und Logis.«
Rachel bekam ganz weiche Knie beim Anblick des Geldes. Sie hatte in ihrem Leben noch nie so viel auf einmal gesehen, und ihr Verstand überlegte fieberhaft, was sie alles mit diesem Geld tun könnte: mehr Arbeiter für die Farm einstellen, damit ihr Großvater sich ausruhen und sein Alter genießen konnte, die kleine Rinderherde vergrößern, die sie sich langsam aus den armen Kälbern aufzog, die die Treiber aus Texas zurückließen, weil sie auf dem langen Weg nach Norden nicht Schritt halten konnten, sich ein hübsches neues Kleid kaufen – wie lange war es wohl schon her, seit sie eins hatte und – um Himmels willen! – wie kam sie denn ausgerechnet darauf? Trotzdem war sie über Slades Angebot, für den Unterhalt der Beecham-Kinder aufzukommen, ungeheuer beleidigt und erzürnt, denn sie hatte die Kinder aus Liebe aufgenommen und hätte sie auch sofort wieder aufgenommen. Sie hatte das Gefühl, der Revolvermann wollte bewußt eine strenge Grenze zwischen ihr und den Beechams ziehen und ihr grausam zu verstehen geben, daß, gleichgültig wie sehr sie die Kinder liebte, er ihre Familie war und nicht sie. Somit war die Freude über ihre Rückkehr verdorben.
»Natürlich nehme ich die Kinder!« fauchte Rachel. »Aber ich bin nicht irgendeine Fremde, die eine Pension betreibt, Mr. Maverick! Ich liebe diese Kinder wie meine eigenen, und ich werde kein Geld von Ihnen für ihren Unterhalt nehmen!« Sie wandte sich ab und kämpfte gegen die Versuchung an, die Scheine aus seiner Hand zu reißen. »Für wen halten Sie mich überhaupt? Allein die Vorstellung, daß Sie mir Geld geben wollen, wo India … India war meine beste Freundin … wie meine Schwester, auch wenn wir keine Blutsverwandten waren – worauf Sie mich ja freundlicherweise hingewiesen haben …«
»Ich bitte um Verzeihung,
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