Wildes Blut
wenn sein Schwager ihn fand. Um ihre plötzliche Angst nicht zu zeigen, ging sie zu ihrem Schaukelstuhl, setzte sich und nahm ihr Strickzeug auf. Jetzt besann sie sich auch ihrer Manieren und versuchte, sich mit Gus zu unterhalten, der ein weiteres Damespiel abgelehnt hatte. Aber die Konversation schleppte sich nur mühsam dahin, mit langen Schweigepausen, und sie sah wutentbrannt Slades unverhohlenes Grinsen. Sicher amüsierte er sich darüber, wie Gus ihr ungeschickt den Hof machte und wie lustlos sie reagierte. Sie war erleichtert, als Gus einen Blick auf seine Taschenuhr warf und sagte, er müsse sich auf den Weg machen. Sie erhob sich hastig, um ihn hinauszubegleiten und schloß energisch die Tür hinter sich. Aber ein paar Augenblicke später, als Gus ihr die Hand reichte und ihr gute Nacht wünschte (er hatte in all der Zeit, in der er ihr den Hof machte, noch nie den Mut aufgebracht, sie zu küssen), hörte sie die fröhlichen Klänge einer Mundharmonika aus dem Haus und wurde schamrot, denn sie spielte das Lied »Ein Fröschlein ging auf Freiersfüßen.« Da weder ihr Großvater noch Poke das Instrument spielten und die Kinder jetzt schliefen, wußte Rachel, daß Slade der Übeltäter war.
Ich bring’ ihn um! dachte sie. Ich schieß’ ihn einfach über den Haufen. Wie kann er es wagen?
Glücklicherweise kannte Gus, der aus Schweden stammte, das alte schottische Volkslied nicht. Trotzdem war sie erbost über den Spott des Revolverhelden. Nachdem Gus losgeritten war, marschierte sie ins Haus, fest entschlossen, Slade Maverick den Kopf zu waschen. Aber als sie eintrat, mußte sie wutentbrannt mitansehen, wie ihr Großvater ihr fröhlich zuzwinkerte und Poke übers ganze Gesicht grinste, da der Kerl bei ihrem Erscheinen »Das Reh, das liebt den grünen Wald« anstimmte, wobei er tat, als würde er sie nicht sehen. Die alte englische Weise ließ Rachel wutentbrannt erstarren, denn sie kannte den Text nur allzu gut.
Das Reh, das liebt den grünen Wald
Der Has’ den Hügel und den Busch
Der Ritter liebt sein Schwert
Die Dame ihren Willen.
Sie wußte, wie dumm sie dastehen würde, wenn sie jetzt die Predigt hielte, die ihr auf der Zunge lag, also stapfte sie ohne Rücksicht auf ihre Pflichten als Gastgeberin hocherhobenen Hauptes und mit rauschenden Röcken davon und hantierte in der Küche. Schließlich erhob sich Slade, steckte seine Mundharmonika weg und bedankte sich mit ernster Miene für den angenehmen Abend, doch insgeheim lachte er sie wohl aus, und sie hätte ihn am liebsten geohrfeigt. Ihre Wut wurde noch größer, weil Fremont ihren unerwarteten Gast anscheinend so nett fand, daß er ihn einlud, in der Scheune zu übernachten.
»Das ist wirklich sehr nett«, sagte Slade. »Ich glaube, das Angebot nehme ich an.«
»Na fein«, sagte Fremont strahlend, und Rachel hätte ihrem Großvater am liebsten den Hals umgedreht. »Poke wird Ihnen zeigen, wo Sie Ihr Bett machen können, und wir erwarten Sie morgen zum Frühstück.«
Wenn es nach mir ginge, bestimmt nicht! dachte seine Enkelin außer sich vor Zorn.
Aber dann kam ihr plötzlich ein boshafter Gedanke. Sie stellte fest, daß sie ihrem Großvater eigentlich danken müßte für diese wunderbare Gelegenheit, sich an Slade Maverick zu rächen – diesem unverschämten Schurken!
9. KAPITEL
Am folgenden Morgen stand Rachel sehr früh auf, damit keiner sie bei ihren Racheplänen beobachten konnte. Anfänglich hatte sie Slade nur ein bißchen für sein Verhalten am Abend vorher bestrafen wollen, aber je heller es draußen wurde, desto komplexer wurde ihr Plan – bis sogar sie leichte Gewissensbisse hatte. Doch die Erinnerung an sein boshaftes Grinsen und das impertinente Harmonikaspiel trieb sie dazu, die Skrupel zu ignorieren, und sie setzte ihre Vorbereitungen fort.
Zuerst mischte sie den Brötchenteig und legte eine kleine Portion beiseite, die für Slade Maverick bestimmt war. Diese knetete und bearbeitete sie gnadenlos, bis sie die Konsistenz von Gummi hatte. Sie formte daraus Brötchen und steckte sie zu den übrigen in den Ofen. Dann schnitt sie Speck und legte ihn in die Pfanne, wo sie vor lauter Aufregung drei der Scheiben auf einer Seite verbrannte. An diesem Punkt ging Rachels Plan mit ihr durch. Sie beschloß, daß die verbrannten Stücke gerade gut genug für Slade waren, und wenn sie schon mal dabei war, konnte sie auch gleich den Rest seines Essens ungenießbar machen. Sie kochte Maisbrei und versalzte ein paar Löffel
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