Wildes Blut
wohnten, zunichte wären, hätte sie immer einen kleinen Teil von ihm hier in diesem Medaillon, gleich einer Blume zwischen den Seiten ihrer Erinnerung.
Wenn es sein mußte, wollte sie damit bis ans Ende ihres Lebens leben. Eine Träne rollte ihr über die Wange, weil sie wußte, daß sie ihn vielleicht tatsächlich nie wiedersehen würde.
III. BUCH
A D A STRA PER A SPERA
17. KAPITEL
Wichita, Kansas, 1875
Nach seiner Ankunft in der Stadt suchte Slade Miss Corbett auf, um sich mit ihr zu unterhalten, und um dann den kleinen Schuppen, in dem sie unterrichtete, der sich hinter der Pension befand, in der sie lebte, anzuschauen. Das Holzgebäude war reparaturbedürftig, aber es war längst nicht so heruntergekommen wie die anderen Häuser, die als Schulen dienten, wie sie ihm eiligst versicherte und sie hätte versucht, das Beste daraus zu machen, was mit den wenigen Geldern, die die Schulbehörde ihr zugestanden hatten, nicht einfach gewesen sei.
»Sie haben sicher alles getan, was in Ihrer Macht stand, Miss Corbett«, gab Slade zu. Er mochte sie, obwohl sie hausbacken und grob wirkte, denn er spürte, daß unter ihrem unattraktiven Äußeren ein mitfühlendes und entschlossenes Herz klopfte. »Und hierher würden die Kinder jeden Tag zum Unterricht kommen?«
»Ja, Sir, und zum Essen in der Pause stünde ihnen der Hof hier zur Verfügung. Mrs. Ginty, die Witwe, der die Pension gehört, hat freundlicherweise erlaubt, daß eine Schaukel aufgehängt wird, und es gibt Platz genug, damit die Kinder Ball spielen und Seil hüpfen können. Da müssen wir uns wirklich glücklich schätzen, denn die meisten Klassenzimmer in der Stadt haben keinen Hof, auf dem sich die Kinder austoben können.«
Wie er erfuhr, unterrichtete Miss Corbett schon seit der Gründung der Stadt in Wichita. Im Augenblick bezahlte ihr die Stadt für ein Schulsemester, das vier Monate dauerte, fünfundzwanzig Dollar im Monat. Ihr Vertrag lief Ende April aus, würde aber sicher ohne Schwierigkeiten erneuert werden, denn gute Lehrer waren in Wichita rar. Da die Anzahl der Schulen mit der Zahl der Kinder im schulpflichtigen Alter nicht mithalten konnte, waren die Klassenzimmer überfüllt, und Kinder unter sechs Jahren durften nicht am Unterricht teilnehmen. Die anderen Schüler kamen nicht immer regelmäßig zur Schule, besonders nicht während der Saat- und Erntezeit. Natürlich hätte sie dafür Verständnis, erklärte Miss Corbett, und sie erwartete auch nicht, die Kinder, die zu Hause dringend bei der Arbeit gebraucht wurden, in der Schule zu sehen.
»Aber jede Schulbildung, gleichgültig wie gering, ist besser als keine, Mr. Maverick.«
»Ja, da haben Sie sicher recht«, stimmte Slade zu. »Wie bald können Sie meine Nichten und Neffen aufnehmen, Miss Corbett?«
»Je eher, desto besser, Mr. Maverick. Unser armseliges kleines Gebäude mag zwar überfüllt sein, aber für Schüler, die etwas lernen wollen, ist immer Platz.«
»Dann werde ich meine Nichten und Neffen morgen früh Punkt acht Uhr hierherbringen. Guten Tag, Ma’am.« Slade zog höflich seinen Hut.
»Einen guten Tag noch, Mr. Maverick, und danke.« Miss Corbett, die offensichtlich dieselbe gute Kinderstube wie Rachel genossen hatte, schüttelte ihm die Hand. »Ich freu’ mich schon darauf, die Beecham-Kinder zu unterrichten.«
Nachdem diese Sache erledigt war, ritt Slade zum Essen ins Southern Hotel. Dann ritt er hinaus zu Gustave Oxenbergs Farm, wo er und Gus nach kurzem betretenen Schweigen ihren Streit beilegten und verabredeten, sich nicht nur gegenseitig beim Säen und Pflügen zu helfen, sondern Rachel obendrein. Nachdem der Höflichkeit und dem Geschäftlichen Genüge getan war, sagte der Schwede stolz: »Ich hab’ heute früh einen Brief gekriegt aus der alten Heimat«, sagte er verlegen grinsend zu Slade. »Gute Freunde meiner Familie kommen nach Wichita, kommen bald, vielleicht in drei oder vier Monaten. Ich kenn’ sie schon, seit ich kleiner Junge in Schweden war. Sie haben drei brave, kräftige Söhne, Erik, Peder und Harald und eine Tochter, Livie.« Er räusperte sich. »Livie war ein kleines sommersprossiges Mädchen, als ich nach Amerika gegangen bin. Sie wird jetzt erwachsen sein. Ob sie wohl schon verheiratet ist? Ob sie sich an mich erinnert?« überlegte er laut und errötete dann, weil ihm bewußt wurde, wie untreu gegenüber Rachel sich das anhörte. »Rachel und ich haben beschlossen, daß es besser ist, wenn wir nur Freunde sind.«
Slade Maverick
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