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Wildes Erwachen

Wildes Erwachen

Titel: Wildes Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Koenig , Birgit Koenig
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Brückners gerechnet, den der Trinkspruch: »Zum Bahnhof!« irritieren musste. Der Gag provozierte wiehernde Lacher. Kral kannte die Auflösung, denn er hatte selbst für dieses Missverständnis gesorgt: Nachdem nach der Grenzöffnung kurzfristig eine gewisse euphorische Hinwendung zu den neuen Nachbarn festzustellen war, hatte er den Kumpels den korrekten Trinkspruch »Na zdraví!« (»Zum Wohle!«) einfach unterschlagen, aber kaum damit gerechnet, dass die Verwechslung zum kalauernden Dauerbrenner werden würde.
    Wenn Selber zum gemütlichen Plausch zusammentrafen, war die »Tschechei« ein Thema, das selten ausgelassen wurde. Ganz wichtig dabei der Austausch über die aktuellen Spritpreise und die günstigsten Tankstellen, denn nur wenige Autofahrer aus der Grenzstadt verzichteten auf das billige Tanken im Nachbarland. Gerne tauschte man sich auch über bekannte Persönlichkeiten aus, denen man drüben entweder das Auto geklaut hatte oder die sich durch die Inanspruchnahme einer sexuellen Dienstleistung in eine höchst peinliche Situation manövriert hatten, sodass sie beispielsweise den Rückzug nach Deutschland in Unterkleidern hatten antreten müssen.
    Welch eine Chance, seine Neugier zu befriedigen, wenn da auch noch ein Tscheche in der Runde saß, der zudem Deutsch wie ein Deutscher und Selberisch wie ein Selber sprach! Wenn man dann auch noch einen Polizisten vor sich hatte, war es an der Zeit, über die Kriminalität beim Nachbarn zu sprechen! Warum sollte das am Stammtisch anders sein? Es dauerte auch nicht lange, da hatte man sich dem Thema genähert. Nun verdienten die meisten »Brüder« zweifellos das Prädikat weltoffen und aufgeschlossen. Deshalb war Kral ziemlich überrascht, als sich ein Stammtischbruder zu Wort meldete, dessen aggressiv angehauchter Beitrag überhaupt nicht in die aufgelockerte Stimmung passen wollte: Er würde doch gerne einmal wissen, was die Polizei »drüben« unternehme, um die ausufernde Kriminalität in den Griff zu bekommen. Es sei ja kaum zu glauben, was da alles so laufe. So richtig in Fahrt gekommen, zählte er einige Delikte auf und kam schließlich auch auf die Überfälle zu sprechen, die mit der Entnahme einer Niere endeten.
    Gespannte Blicke auf Brückner! Wie würde sich der tschechische Polizeioffizier aus der Affäre ziehen? Der zündete sich in aller Ruhe eine Zigarette an und nahm dann einen tiefen Schluck aus seinem Bierglas.
    Sein kurzer Blick zu Kral sprach Bände: In einer solchen Gesellschaft verkehrst du? Diese Einladung hättest du mir eigentlich ersparen können! Muss ich dem Trottel wirklich antworten? Kral wurde angst und bange, denn er kannte Brückner zu gut: Wenn ihm jemand dumm kam, konnte er sehr grob werden und der »Schwejk« konnte sich in ein Rumpelstilzchen verwandeln. Nicht umsonst hatte man ihm in Eger auch diesen zweiten Spitznamen verpasst.
    Es musste etwas geschehen, um eine mögliche Eskalation zu verhindern. Dass jetzt Schuster in die Bresche sprang, hatte Kral nun wirklich nicht erwartet. Dessen Strategie war geradezu ideal: Zunächst lachte er meckernd, um die atmosphärische Störung zu glätten, dann wandte er sich ausgesprochen freundlich an den Kritiker: »Nichts für ungut, Herr Nachbar, Sie haben Recht, da ist einiges aus dem Ruder gelaufen. Aber eins können Sie mir glauben: Die Kollegen drüben machen einen guten Job. Nichts gegen Ihre kritische Haltung, aber dass Sie uns mit einem Gerücht bedienen, das ich, verzeihen Sie mir den Ausdruck, als ›Scheißhausparole‹ bezeichnen muss, gefällt mir überhaupt nicht. Sie sollten zur Kenntnis nehmen, dass es in ganz Bayern nach der Grenzöffnung keinen einzigen Fall einer solchen kriminellen Nierenentnahme gegeben hat.«
    Kral war baff: Mit einer geradezu genialen »Volksrede« hatte der Hauptkommissar genau den Ton getroffen, den man am Stammtisch liebte: Klare Ansage und deftiger Ausdruck! Aber noch war Schuster nicht fertig: »Seit wir bei der Polizei mit einem Germanisten zusammenarbeiten, haben wir auch den korrekten wissenschaftlichen Begriff für solche Gerüchte oder …, na, Sie wissen schon! Bitte, Herr Kral!«
    Der hatte mit den beiden Polizisten schon öfter über diese Nieren-Geschichte gesprochen und verfügte auch über eine entsprechende Definition. Während er den kritischen Geist genüsslich musterte, versetzte er ihm den nächsten Schlag: »Wir haben es hier mit einer Art ›Wandersage‹ zu tun. In unserem Bereich bedienen und bestätigen diese Geschichten

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