Wildes Erwachen
es ging nicht gegen Sie«, richtete sie sich an den Besucher, »ich habe mich nur darüber geärgert, dass sich mein Mann in Dinge einmischt, von denen er lieber die Finger lassen sollte.«
Brückner, froh darüber, die Angriffsrichtung zu kennen, nickte erleichtert: »Klar, geht auf meine Kappe, wenn Sie die Sache mit der Mafia meinen. Aber«, er suchte nach Worten, »Sie werden doch grundsätzlich nichts …, also, Sie wollen doch nicht, dass er die Zusammenarbeit mit mir und Schuster ganz aufgibt?«
Kral rührte die vorsichtig, fast ängstlich vorgetragene Frage, denn sie vermittelte ihm ein Gefühl der freundschaftlichen Verbundenheit.
»Nein, das will ich sicher nicht«, antwortete Eva lachend, »ich weiß doch, wie wichtig ihm das ist, aber ich meine halt, er sollte einfach etwas vorsichtiger sein.«
Kral hatte die Botschaft verstanden und nahm sich fest vor, entsprechend zu handeln.
Nachdem sich Brückner verabschiedet hatte, wandte sich Eva an ihren Ehemann: »Du könntest ihn doch einfach mal mit zum Stammtisch nehmen! Ich kann mir gut vorstellen, dass er sich in dieser Runde recht wohl fühlt.«
Komisch, dass er da noch nicht selbst drauf gekommen war!
»Guter Gedanke!«, entgegnete er, »aber wenn schon Brückner, dann auch Schuster. Am Ende ist der noch beleidigt, wenn ich ihn ausschließe. Könnte man gleich in den nächsten Tagen machen, da muss ich sowieso etwas springen lassen, Geburtstagsbier, kennst du ja!«
»Dann sieh mal zu, dass da was draus wird!«, forderte ihn Eva auf.
Eigentlich war es nur ein kleines Zimmer in Erlangen, in dem er jetzt sechs Jahre gewohnt hatte. Das Mobiliar beschränkte sich auf einen mit einer Wachstuchdecke überzogenen Esstisch als Arbeitsfläche, zwei Stühle, einen zweitürigen Kleiderschrank und das Bett. Er hatte es gut getroffen mit der Studentenbude, nette Vermieter, Küchen- und Badbenutzung, zum Kaffee manchmal ein Stück Kuchen von den Hausleuten und das Ganze auch ziemlich preiswert.
Nun stand der Auszug an, denn das Examen war geschafft und die Anstellung als Gymnasiallehrer garantiert. Die Bücher waren schon in einem Koffer verstaut. Jetzt noch den Schrank ausräumen und dann ab die Post! Wohin eigentlich? Er suchte nach dem Schreiben des Kultusministeriums, konnte es aber nicht finden. Hatte er sich die Sache nur eingebildet? War er in Wirklichkeit doch nur der kleine Matrose in der Seeschifffahrt? Du Depp! Dann wärst du doch nicht in Erlangen!
Von unten rief Eva: »Jan, wo bleibst du denn?«
»Bin gleich fertig!«
Der Schrank wollte sich einfach nicht leeren. Der zweite Koffer war voll, aber immer noch lagen zu Hauf Hosen, Hemden, Schuhe herum, die verstaut werden wollten.
Eva tauchte in der offenen Tür auf und verdrehte die Augen: »Wie lange soll das denn noch dauern?« Ihr Blick wanderte durch das Zimmer: »Ich fass’ es nicht! Du musst morgen in Selb antreten und was machst du? Du spielst Schach anstatt zu packen!«
Tatsächlich! Auf dem Tisch stand sein Schachcomputer. Das Blinken zeigte, dass nun Schwarz am Zug war.
»Aber ich habe doch gar nicht …!«
Eva schüttelte ärgerlich den Kopf: »Jan, du bist jetzt Lehrer! Da kannst du nicht mehr nur dem Lustprinzip folgen. Ich gehe jetzt nach unten und erwarte, dass du in zehn Minuten beim Auto bist!«
»Okay, ich schaffe das!«
Jetzt aber ran! Verdammt, da liegen noch die ganzen Skripten und die anderen Unterlagen unter dem Fenster. Wohin jetzt damit?
Evas Ruf: »Also, ich fahr’ dann schon mal!«
Er stürzte zum Fenster, öffnete einen Flügel, aber Eva saß schon im Wagen und fuhr los. Er schrie so laut er konnte: »Nein, nein! Bleib hier!«
Evas Hand fuhr über seine feuchte Stirn: »Was war das denn? Du hast laut geschrien. Schlecht geträumt?«
»Kann man so sagen, aber keine Ahnung mehr, was!«
Eine glatte Lüge. Zu gut kannte er das Auszugs-Drama. Schließlich begleitete ihn der Traum in den verschiedensten Variationen schon seit einigen Jahren. Und er glaubte auch, den Inhalt deuten zu können.
Gäste waren an Krals Stammtisch immer gerne gesehen, eröffneten sie doch die Möglichkeit, neue Themen und Sichtweisen zu diskutieren. Nebenbei konnte man den Besuchern auch zeigen, welch toller Haufen man doch war.
Eine gewisse Aufgekratztheit war unübersehbar, nachdem Kral Brückner und Schuster vorgestellt hatte. Schlitzohrig grinsend prostete der Präsident der Truppe den Neuankömmlingen zu: »Na nádraží!« Natürlich hatte er mit der Verwunderung
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