Wildes Herz
Nase. Er brachte mich zum Niesen und meine Augen zum Tränen.
Ich hatte mich mit Leon und Enya hier verabredet, nach einem langen Telefonat. Doch die beiden waren nicht im Haus, was wohl auch besser war. Sicher trat das verbliebene Rudel, dem vermeintlichen Aggressor - einem Vampir - nicht gerade freundlich gegenüber. Ich lief durch die prächtige Vorhalle des riesigen Herrenhauses und suchte nach Spuren, wurde aber nicht fündig. Nicht, dass ich besonders gut darin war. Doch das Rudel hatte die Spuren sehr ordentlich beseitigt. Ein wenig zu ordentlich und in einer Geschwindigkeit, die mehr als ungewöhnlich war. Es waren gerade 24 Stunden vergangen seit dem Massaker und hier war alles blitzblank gewienert, als ob der Vorfall nie stattgefunden hätte. Dieser Sachverhalt machte mich mehr als skeptisch. Ich berührte einen der Wandteppiche, an dem ich noch einen klitzekleinen Spritzer Blut fand. Wolf, weiblich, sehr jung und noch vor seiner offiziellen Einführung ins Rudel. Ein dumpfes Gefühl nagte an meinem Magen. Es zeigte mir deutlich, dass es hier nicht mit rechten Dingen zugegangen war. Als ob es das wäre, wenn Vampire ein Rudel angriffen. Das war so atypisch! Wenn ein rassistischer Vampirclan dies getan hätte, dann würde er sich damit brüsten. Sie würden damit angeben, so viele Wölfe getötet zu haben. Das hier stank zum Himmel! Ich fragte mich, ob es wirklich intelligent gewesen war, alleine hier rein zugehen. Bob konnte ohne Erlaubnis nicht hier rein, war er zu dominant. Die verbliebenen Wölfe könnten sein Eindringen als Affront ansehen. Deswegen parkte er einen guten Kilometer vom Haus entfernt. Der Zirkel der Atlanten, der größte Vampirclan in den Staaten, hatte sein Bedauern geäußert, als ich sie informierte. Die Vampire hatten von dem Zwischenfall nichts gewusst. Noch ein Punkt mehr, der mein schlechtes Gefühl bei der Sache bestärkte. Die Vampire hatten angeboten zu helfen und Ermittler zu schicken. Natürlich nur, wenn das Rudel es wollte. Ich für meinen Teil würde auf ihre Hilfe gerne zurückkommen. Nur mit Bob hatte ich nicht den Hauch einer Chance, auch nur eine Spur von Chris und Abby zu finden.
„Wenn sie hier drin ist, dann gehe ich dort rein!“ Leons schwerer französischer Dialekt, gefolgt von einem Rumpeln. Ich vernahm Schreie hinter einer der naheliegenden Türen und eilte dort hin. Es hörte sich nach Handgreiflichkeiten an und als einziger Vampir, unter zig stinkwütigen Lykanern, hatte Leon denkbar schlechte Karten. Das Bild vor der Tür bestätigte meine Befürchtungen. Der Vampir lag blutend am Boden. Enya versuchte ihn zu verteidigen, gegen fünf Männer. Falsch, zwei Männer und drei Wölfe. Selbst mit mir an ihrer Seite standen die Chancen schlecht, gegen die aufgebrachten Angreifer. Dennoch positionierte ich mich neben Enya und schirmte Leon mit meinem Körper ab.
„Ich wusste, dass du kommst!“ Enya atmete erleichtert auf und keuchte leise. Sie hielt sich ihre Seite, hatte einer der Wölfe sie verletzt.
„Get out of my way, fraidy-cat!“, knurrte mich einer der beiden Mensch gebliebenen an.
Angsthase … Ich hatte ganz vergessen, dass ich unterwürfig war. Das Unterwürfige hatte ich mir in Hot Springs abgelegt. Bei Bob und Trudi gab es keine Ränge. Sie waren ein Ehepaar, beide dominant. Ich war ranglos und ihre Freundin. Jetzt wieder auf meinen unteren Rang verwiesen zu werden … Ich knurrte widerwillig und zeigte dem Mann Zähne. Etwas, was er von einer Unterwürfigen nicht erwartet zu haben schien, zeigte er sich tatsächlich beeindruckt.
„Tank, lass die Ladys in Ruhe und auch den Blutsauger.“ Die Männerstimme klang angenehm weich. Doch Tank dachte gar nicht daran, auf den Fremden zu hören.
„Du bist nur geduldet, Leiche. Also lehn dich nicht so weit aus dem Fenster“, knurrte der Lykaner feindselig.
Leiche … gar nicht so unpassend. Der Mann war blass, geradezu fahl und seine Lippen blau, als wäre er unterkühlt oder herzkrank. Seine langen Haare hellgrau wie Silber und seine Augen verschwanden hinter einer pechschwarzen Sonnenbrille. Sein Herz schlug, doch nur sehr langsam mit höchstens zehn Schlägen pro Minute. Er atmete nicht. Falsch, gerade eben tat er einen Atemzug. Doch auch nur, weil er einen Seufzer ausstieß und die Luft zum Erzeugen des Geräusches benötigte. Er roch nach fast gar nichts. Wie Regen und leicht nach Ozon … frisch. Der Mann war elegant gekleidet in einer schwarzen Bundfaltenhose und einem Hemd. Er
Weitere Kostenlose Bücher