Wildes Herz
nicht steril weiß bezogen war, sondern mit einer kunterbunten Blümchenbettdecke. Man konnte es sich auf einer Couch beim Warten bequem machen. Auf dem Tisch davor stand eine riesige Bonbonniere, gefüllt mit buntem Süßkram, eine Schale mit Obst, aber auch eine mit kleinen, einzeln verpackten Trockenfleischstreifen. Das war ganz typisch Lykaner! Es gab eine Leseecke mit einem riesigen Bücherregal. Man fand dort nicht nur medizinische Fachbücher, auch viele Kinderbücher und Klassiker. Der gemütliche Ohrensessel davor lud zum Schmökern und Verweilen ein. In jener Ecke hingen Bilder an der Wand. Es waren so viele an der Zahl, dass sie beinah gänzlich die Tapete verdeckten. Selbstgemalte Bilder, wohl von kleinen Patienten, doch auch Fotos und Grußkarten mit Danksagungen. Zahlreiche Babybilder hingen rund um das Familienporträt der Familie Mortimer. Es war ein hübsches Bild. Der Alpha und seine Familie, das Rudel ein wenig im Hintergrund, aber dennoch präsent.
„Meine Mutter war Hebamme. Fast alle Wölfe unseres Rudels kamen hier zu Welt, auch ich. Sie hat aber nicht nur Wölfen auf die Welt geholfen. Viele Menschen schätzten ihre Hilfe und den natürlichen Umgang mit der Geburt. Und wenn doch mal Not am Mann war, dann haben wir unseren guten Doktor Singh.“ Aaron lächelte den Inder an, der sein Lächeln nicht minder freundlich erwiderte.
„Mira wird uns allen fehlen“, seufzte der indische Wolf mit dem starken Panjabi-Dialekt. „Dein Vater mochte der Kopf des Rudels gewesen sein, aber Mira war das Herz. Wölfe wie Tank oder Seth können kein Rudel führen. Es fehlt ihnen an Gefühl. Das Rudel zerfällt, so leid es mir tut. Meine Familie und ich werden gehen, Aaron. Ich hege keinen Argwohn gegen Tank, aber mit Seth als Beta, damit kann ich nicht leben.“
„Ich verstehe dich nur allzu gut, Prajit. Es steht dir frei, zu gehen. Jedes Rudel wird euch mit Kusshand nehmen. Einen so fähigen Arzt …“ Aaron seufzte leise. „Aber ich würde euch vermissen.“
Der etwas zu klein geratene Inder griente schief. Er setzte routiniert die letzte Naht an Leons Arm, der inzwischen blass war, wie das weiße Laken unter ihm.
„Und was hält dich hier? Du hast so viele Repressalien erdulden müssen. Deine Familie hat versucht dich zu schützen, aber selbst dein Vater konnte es nicht verhindern, dass du aus dem Rudel gedrängt wurdest. Du bist kein Teil des Rudels mehr, seit Cynthia …“ Der Inder schluckte. „Der Familie Mortimer, sicherlich, mein Freund, aber kein Rudelgefährte. Es tut mir leid.“
„Muss es dir nicht, Prajit. Ich weiß, dass ich nur geduldet bin, bekomme ich ja oft genug aufs Brot geschmiert. Dennoch ist das hier mein Zuhause und ich käme mir schäbig vor, das Erbe meiner Eltern abzulehnen.“ Aaron legte seine Hand auf die Schulter Prajits.
„Ich kann dich verstehen, und auch wenn Tank dir sicherlich kein Haar krümmen würde, bei Seth bin ich mir da weniger sicher. Er hasst dich, das hat er schon immer getan. Dass dir etwas passiert, das hätte Mira nicht gewollt. Deine Familie konnte dich schützen, aber selbst wenn ich hierbliebe, ich könnte es nicht. Sei nicht dumm, mein Freund. Ich war schon bei deiner Geburt dabei und möchte es nicht bei deiner Beerdigung sein. Wir haben zu viele heute zu Grabe tragen müssen.“
Prajit war ernsthaft besorgt und ich konnte seine Besorgnis nachvollziehen. Aaron stand außerhalb der Rangordnung des Rudels. Er war ebenso wie Suna, kein Mitglied, sondern nur in der Nähe geduldet. Es kam selten vor, aber dennoch passierte es, dass ehemals akzeptierte Mitglieder aus dem Rudel gedrängt wurden, weil sie eben nicht mehr akzeptiert wurden. Das konnte passieren, wenn der Wolf schwer verletzt wurde und dauerhafte Behinderungen davontrug.
Aaron hatte sein Wolfsein verloren und war etwas, was ich noch nie zuvor gesehen hatte. Das konnten die meisten Wölfe nicht akzeptieren, selbst sein Vater nicht. Als Sohn hatte er ihn sicherlich geliebt. Doch sein Wolf lehnte Aaron ab und stieß ihn aus dem Rudel.
Aaron seufzte leise. „Wir werden sehen. Erst mal möchte ich wissen, was hier vorgeht, Prajit. Danach sehen wir weiter. Zu der Frage der Dame: Cynthia hat mich verflucht, weil ich sie verlassen habe. Sie war nicht bereit mich gehen zu lassen und hat mich deshalb mit diesem Fluch belegt. In erster Linie ging es ihr darum, dass ich mich nicht mehr wandeln kann. Dass mich der Fluch dermaßen unattraktiv macht, war nur ein Nebeneffekt. Keine Frau mag
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