Wildes Herz
Éanna bissig und blieb auf seiner Höhe stehen. Ihr Blick fiel auf die linke Seitentasche seines Mantels, dessen Kragen mit Pelz besetzt war. Die Klappe war nach innen geschlagen, und aus der Tasche ragte der Griff eines Trommelrevolvers. Hinter ihm auf der Sitzband lagen ein zweiter Revolver und eine doppelläufige Schrotflinte. Seit geraumer Zeit wagte sich kaum noch ein Geschäftsreisender auf die Landstraßen Irlands, ohne sich vorher gut mit Schusswaffen ausgerüstet zu haben.
Patrick O’Brien nickte und klopfte sich mit seinem Bleistift gegen die oberen Zähne. »Ja, so was in der Art ist mir schon mal zu Ohren gekommen«, antwortete er und musterte Brendan. »Aber so bitter das auch sein mag, es dürfte immer noch bekömmlicher sein, als im Gefängnis zu sitzen oder mit einem dieser Sträflingsschiffe auf dem Weg nach Australien zu sein, meinst du nicht auch?«
»Wovon, zum Teufel, redet ihr?«, zischte Brendan mit wachsender Verwunderung. »Und woher kennt ihr euch bloß?« Auch er hatte die Waffen bemerkt, die der junge Herr mit sich führte.
»Nicht jetzt«, gab Éanna leise zurück.
»Ihr wollt nach Carlow?«, fragte Patrick O’Brien.
»Das habt Ihr gut erraten. Wie scharfsinnig von Euch! Oder habt Ihr vielleicht schon den herrlichen Duft gerochen, der von der Suppenküche mit ihren einladend angeketteten Blechtellern und Löffeln kommt?«, fragte sie spitz zurück. »Ihr solltet Euch mal das Vergnügen gönnen, Euch dort anzustellen und Euch nach drei, vier Stunden Wartezeit einen Blechteller wässriger Suppe vorsetzen zu lassen.«
»Keine schlechte Idee«, gab er unbekümmert zur Antwort, als wäre ihm der Sarkasmus völlig entgangen. »Das muss ich mir notieren, Éanna. Das mit den angeketteten Tellern und Löffeln könnte wirklich ein interessantes Kapitel abgeben und die Wartezeit wert sein.«
Brendan tippte sich an die Stirn. »Sag mal, hat der sie da oben noch alle beisammen?«, zischte er ihr zu.
Anstelle einer Antwort legte sie ihm beruhigend ihre Hand auf den Arm und fragte an Patrick O’Brien gewandt: »Ein Kapitel von was?«
Patrick O’Brien tippte mit seinem Bleistift auf die Seite seines aufgeschlagenen Buches. »Von dem Buch hier, das ich schreibe«, teilte er ihr leichthin mit, als verstünde sich das von selbst. »Habe schon eine ganze Menge zusammengetragen.«
Éanna machte ein verblüfftes Gesicht. »Ihr seid Schriftsteller und schreibt Bücher?«
Patrick O’Brien lachte etwas verlegen. »Na ja, dies für meine Person schon jetzt in Anspruch zu nehmen, wäre wohl doch etwas vermessen. Aber ich hoffe zumindest, eines Tages Schriftsteller zu sein und mich schon auf dem besten Weg dorthin zu befinden. Und ich werde es schaffen, auch wenn es mich noch so viele Jahre kostet, bis mein erstes Buch verlegt wird! Aber lass das bloß nicht meinen Onkel hören! Der alte bärbeißige Edmund hofft noch immer, dass ich einmal in seine Fußstapfen trete, seine Firma übernehme und ein genauso geschäftstüchtiger Bierbrauer werde wie er. Nur was kann ich dafür, dass meine Tante ihm zwar zwei hübsche Töchter, aber nicht den ersehnten Stammhalter und Erben geschenkt hat?«
Éanna schüttelte den Kopf. Er sprach zu ihr, als gehörte sie seiner privilegierten Klasse an und nicht jener niederen gesellschaftlichen Schicht, die sein Onkel in Dublin nicht einmal am hinteren Dienstboteneingang seines Hauses dulden würde.
»Ihr seid also gar kein Schriftsteller, sondern reisender Vertreter Eures Onkels für Schwarzbier?«, fragte sie nach.
»Ja, das trifft es recht genau«, bestätigte er und fuhr mit fröhlicher Unbekümmertheit fort: »Und nicht gerade der tüchtigste Vertreter, wie ich gestehen muss. Denn mich interessiert das Geschäftliche nicht die Bohne, es ödet mich vielmehr an. Was natürlich nicht gerade hilfreich ist, wenn man hartgesottene Gastwirte dazu bringen soll, neue Kunden der Edmund Wexford Brewery zu werden und einem ein paar Fässer Black Cloud abzunehmen. Aber so liegen die Dinge nun mal. Und ich denke auch nicht daran, mein Leben der Herstellung und dem Verkauf von Bier zu widmen. Allein schon die Vorstellung ist ein Albtraum!«
»Ihr habt wirklich ein entsetzlich schweres Los«, bemerkte Brendan verdrossen. »Gleich rührt Ihr mich zu Tränen!«
Patrick O’Brien nickte ungerührt. »Du sagst es! Denn dummerweise lässt sich Onkel Edmund nicht entmutigen, mir sein Gewerbe und seine Firma schmackhaft machen zu wollen. Er besteht darauf, dass ich das Geschäft
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