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Wildes Herz

Wildes Herz

Titel: Wildes Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonie Britt Harper
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Kolonne bildeten noch einmal zehn Infanteristen sowie eine Nachhut aus vier Dragonern, die wie die Vorhut einen Abstand von gut fünfzig Yard einhielt, um den Rücken des langen Zuges zu sichern. Begleitet wurde der Vorbeimarsch von dem Geschrei der Kutscher auf den Fuhrwerken, die dabei ihre Peitschen über den Köpfen der Zugtiere knallen ließen.
    »So weit ist es also schon gekommen, dass eine ganze Kompanie bis an die Zähne bewaffneter Soldaten nötig ist, um eine Ladung Mehl oder Getreide zu bewachen«, sagte Brendan düster, als die Kolonne an ihnen vorbeigezogen war und sie wieder auf die Landstraße zurückkehrten.
    »Wie du schon mehrfach gesagt hast, es sind eben rosige Zeiten in Irland angebrochen«, erwiderte Éanna sarkastisch.
    »Ja, wir freuen uns darüber noch zu Tode, wenn es so weitergeht«, knurrte Brendan düster.
    Dass die starke Bewachung des Transports keine übertriebene Schutzmaßnahme war, sahen sie, als sie endlich in Carlow eintrafen. In der kleinen Stadt, die an den Ufern des Bourne lag, drängte sich das hungernde Landvolk durch die Straßen. In Carlow endete die Eisenbahnlinie der Irish South Western , die von Dublin ins Hinterland führte. Dementsprechend viele Reisende, überwiegend Geschäftsleute, stiegen hier aus den Zügen. Auch trafen ständig Kutschen ein, um Reisende abzuholen oder zu den abfahrenden Zügen zu bringen. Denn so groß die Not der einfachen Kleinpächter auf dem Land auch sein mochte, so boten sich für Kaufleute, Händler und Agenten doch noch immer zahlreiche Möglichkeiten, von diesem Elend zu profitieren und gerade dank der Hungersnot blendende Geschäfte zu machen.
    Es herrschte ein unglaubliches Kommen und Gehen und Gewimmel, und die Menge an Bettlern rund um den großen Bahnhofsvorplatz war unüberschaubar. Ein jeder hoffte darauf, den wohlbetuchten Ankommenden oder Abreisenden ein Almosen entlocken zu können. Die Kutschen wurden sogleich von Dutzenden Elendsgestalten umringt, kaum dass sie zum Stehen gekommen war. Jeder versuchte, den anderen mit seinen inständigen Bitten zu übertönen und sich nach vorn zu drängen.
    »Es wird für Euer Ehren ein glücklicher Tag werden, wenn Ihr mir ein kleines Handgeld gebt!«
    »Ihr seid ein Gentleman, das kann jeder sehen! Ihr werdet Euer Herz nicht vor meinem Elend und dem meiner hungernden Kleinen verschließen!«
    »Ein Penny! Nur ein Penny, Euer Ehren! Gott wird Euch für Eure Großherzigkeit segnen!«
    Es war ein entsetzliches Schauspiel, das sich ihren Augen bot. Und obwohl Brendan und Éanna schon oft genug Zeuge derartig beklemmender Selbsterniedrigungen geworden waren, hatten diese Szenen doch nichts von ihrer erschütternden Wirkung verloren.
    Denn viele der Männer und Frauen beschränkten sich nicht nur auf flehendliches Betteln, sondern zerrten dabei auch noch ihre Lumpen zur Seite, um ihre offenen Geschwüre und andere Wunden zu entblößen. Dadurch hofften sie, sich gegenüber den anderen Bettlern einen Vorteil zu verschaffen.
    »Diese Bilder müssten Königin Victoria und die Herrn Minister in London sehen! Vielleicht würden sie es sich dann noch einmal überlegen, weiterhin vom Ende der Hungersnot zu sprechen!«, murmelte Brendan und ballte die Fäuste in ohnmächtigem Zorn.
    »Sie werden das wahre Elend unseres Landes niemals zu Gesicht bekommen, weil sie es überhaupt nicht sehen wollen«, sagte Éanna. »Aber schon darüber zu reden, ist sinnlos. Lass uns lieber nach dem nächsten Pfandleiher und dann nach der Suppenküche Ausschau halten.«
    Sie brauchten nicht lange nach einem Pfandleiher zu suchen. In einer nahen Seitenstraße stießen sie gleich auf drei solche Läden, in denen sie die Angebote und Preise vergleichen konnten.
    Die Pfandleihen quollen nur so über von all den Sachen, die von ihren einstigen Besitzern nach und nach versetzt worden waren, um dem Hunger noch einmal für eine Woche oder auch nur für einen Tag zu entkommen. Vom Boden bis unter die Decke stapelten sich Kessel, Pfannen, Krüge, Spiegel, Waschbretter, Nachtgeschirr und was sonst noch zum Hausrat gehörte. Andere Fächer waren mit allen nur möglichen Werkzeugen sowie Scheren und Messern vollgestopft. Dazu kamen hohe Stapel mit Decken, Tüchern und Bettzeug. Alles, was die Kleinpächter auch nur für ein paar Pence hatten versetzen können, hatte seinen Weg in diese Geschäfte gefunden.
    Verbissen feilschten Éanna und Brendan mit den Pfandleihern. Erst der dritte erklärte sich unter großem Lamentieren bereit,

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