Wildes Herz
einholst. Und viel Glück! Du wirst es gebrauchen können!«
»Gottes Segen für Eure Güte, Mr O’Brien!«, murmelte sie und schloss die Hand um die vier Geldstücke. Sie konnte ihr Glück kaum fassen.
Sofort war da wieder der Spott in Augen und Stimme. »Na, ein Dutzend neue Abnehmer für das blöde Bier meines Onkels würden mir schon reichen!«
Éanna eilte hinter Brendan her.
»Du bist mir vielleicht ein Blödmann!«, rief sie ihm ärgerlich zu. »Wie kannst du ihm bloß den Rücken kehren und den stolzen Mann spielen, wo er uns Geld geben wollte? Du hast ihn bestimmt für eingebildet gehalten. Aber in Wirklichkeit bist du viel hochmütiger als er!«
»Und?«, fragte Brendan grimmig. »Was hat er denn springen lassen? Einen Penny? Oder hat sich dieser Lackaffe vielleicht sogar zu zwei Pence hinreißen lassen?«
»Nein, er hat mir vier Shilling geben, du Sturkopf!«, stieß sie hervor und hätte ihn beinahe vor Freude umarmt. »Hier, sieh doch! Vier Shilling! Weißt du, was das bedeutet?«
Verblüfft blieb er stehen und starrte ungläubig auf das Geld, das sie ihm in ihrer offenen Hand unter die Nase hielt. »Ja, eine Menge Brot!«, murmelte er verlegen und schüttelte den Kopf, hätte er Patrick O’Brien ein solch großes Geldgeschenk doch niemals zugetraut.
»Nein, das bedeutet, dass du in Carlow erst einmal einen warmen Mantel bekommst! Keine Widerrede! Er hat das Geld mir gegeben. Du warst ja zu stolz dazu. Und deshalb entscheide ich jetzt auch, was wir damit machen!«
»Also, hör mal … «
»Nein, du hörst mir zu!«, unterbrach sie ihn energisch. »Wir gehen in Carlow zum nächsten Pfandleiher und suchen den besten und wärmsten Umhang aus, den er zu bieten hat! Und einen eigenen Schal kriegst du auch!«
»Und du sagst, ich wäre stur? Aber wenn du unbedingt darauf bestehst, machen wir es so«, stimmte er scheinbar brummig zu, doch in dem Blick, den er ihr dabei zuwarf, las sie Dankbarkeit – und noch etwas anderes, das Widerhall in ihrem Herzen fand und ihr das wunderbare Gefühl gab, als hätte er seine Hand zärtlich auf ihr Gesicht gelegt.
Und dann erzählte sie ihm, woher sie Patrick O’Brien kannte und was sie ihm über diese vier Shilling hinaus verdankte.
Einundzwanzigstes Kapitel
Es war spürbar kälter geworden, als sie in die Nähe von Carlow kamen. Ihr Atem bildete kleine Wölkchen in der frostkalten Luft, und Éanna sah, dass Brendan ohne wärmenden Mantel und Schal bitterlich fror.
Das Weihnachtsfest stand vor der Tür, aber von festlicher Stimmung konnte keine Rede sein. Kurz vor der Stadt stießen sie auf Soldaten, die ihnen entgegenritten. Augenblicklich beeilten sie sich, dass sie von der Landstraße kamen und Schutz hinter einem großen Weidenbaum suchten.
»Heiliges Kanonenrohr!«, rief Brendan mit einer Mischung aus Staunen und tiefem Groll. »Sieh dir das nur an! Das ist ja eine richtige Wagenkolonne, die da aus der Stadt kommt! Das müssen ja mindestens fünfzehn, sechzehn schwere Fuhrwerke sein! Und hast du schon einmal so viele Soldaten als Eskorte auf einmal gesehen? Ich jedenfalls nicht!«
»Ich auch nicht«, erwiderte Éanna. »Das kann dann nur ein Getreidetransport sein, wenn die Wagen unter so schwerer Bewachung stehen!«
»Das sind Dragoner vom Regiment der Scots Greys«, stellte Brendan fest, als der lange Bandwurm aus fast zwanzig hoch beladenen Fuhrwerken und einer Eskorte von mindestens vierzig, fünfzig schwer bewaffneten Soldaten näher rückte.
Eine Vorhut von zwei Scots Greys ritt dem Transport etwa fünfzig Yard voraus. Ihre Aufgabe bestand zweifellos darin, das Gelände vor der Kolonne beidseitig der Landstraße im Blick zu behalten und nach Hinweisen zu suchen, ob sich irgendwo eine Menge hungernder Bauern zusammenrottete, um über die Getreidewagen herzufallen.
Die Dragoner saßen auf prächtigen grauen Pferden. Scharlachrote Umhänge reichten den Männern von den Schultern bis über die Knie und bedeckten die Rücken ihrer Tiere.
Die Scots Greys trugen Gewehre mit aufgesetzten Bayonetten und an der Seite lange Säbel, die von ihren breiten Gürteln bis zu den Füßen herabhingen. An den hohen Stiefeln trugen sie blank polierte, bedrohlich aussehende Sporen.
Hinter der Vorhut folgte vor den ersten Fuhrwerken ein zehnköpfiger Zug Infanteriesoldaten mit gezückten Säbeln sowie zwei Konstabler. Nach jeweils vier Wagen kam ein weiterer Trupp Fußsoldaten. Die Flanken des Transports wurden von berittenen Scots Greys gesichert. Das Ende der
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