Wildes Herz
aufzuwärmen und ihre nassen Sachen so gut es eben ging trocken zu bekommen.
Für eine Weile ließ es sich mit dem Feuer unter dem offenen Sternenhimmel aushalten. Aber das wenige Holz aus den Trümmern verbrannte viel zu schnell. Und als schließlich auch noch die Glut in sich zusammenfiel und immer mehr erkaltete, griff die Nacht mit unbarmherzig eisiger Hand nach ihnen.
Éanna war elendig müde, als sie sich an der Feuerstelle zusammenrollte, doch ihr Magen knurrte und ihr war so kalt, dass sie keinen Schlaf finden konnte. Sie dachte an die Wintermonate, die vor ihnen lagen, und ihr Herz begann vor Beklemmung und Angst zu rasen. Wie sollten sie bloß die lange Zeit bis zum nächsten Frühling überstehen, ohne zu verhungern oder zu erfrieren? Und ob es ihnen dann besser gehen würde, falls sie den Winter überlebten, war so ungewiss wie alles andere in ihrem Leben.
Plötzlich spürte sie, wie Brendan von hinten an sie rückte und seinen Körper gegen ihren Rücken presste.
Sie zuckte bei der unerwarteten Berührung zusammen und wurde augenblicklich steif.
»Was tust du da?«, stieß sie erschrocken hervor.
Sofort rückte er wieder von ihr ab. »Entschuldige«, hörte sie ihn in ihrem Rücken verlegen murmeln. »Es … es war wirklich nicht so gemeint, wie du jetzt wohl annimmst. Mir . . . mir ist nur so kalt, und da dachte ich, wir . . . wir könnten uns gegenseitig wärmen. Ich wollte dir nicht zu nahe rücken.«
Éanna biss sich schuldbewusst auf die Lippen. Er hatte seinen Mantel geopfert und in die Büsche geworfen, um die Hunde von ihrer Fährte zu locken, und sie hatte ihm nicht einmal angeboten, ihren Umhang mit ihm zu teilen! Schnell drehte sie sich mit brennenden Wangen zu ihm um, was er in der Dunkelheit gottlob nicht sehen konnte. »Nein, mir muss es leid tun, Brendan«, versicherte sie hastig. »Wie dumm und gedankenlos von mir! Komm her, wir teilen uns meinen Mantel!« Damit schmiegte sie sich an seine Seite, zerrte ihren Mantel unter sich hervor und schlug eine Hälfte über ihn. Es war wenig genug, aber doch besser als gar nichts.
»Danke, Éanna«, flüsterte er kaum vernehmlich. Doch sein Mund war ihrem Gesicht so nahe, dass es auch nicht mehr als eines Flüstern bedurfte.
»Versuch, ein wenig zu schlafen«, gab sie leise zurück. Die Beklemmung und die Angst, die ihr eben noch die Brust zugeschnürt hatten, wichen von ihr, und dann überfiel sie auch schon der Schlaf.
Als sie im Morgengrauen mit steifen Gliedern erwachte, lagen sie noch immer eng aneinandergeschmiegt. Ihre Mantelhälfte war jedoch verrutscht, und der kalte Wind pfiff über ihre entblößten Beine. Aber Éanna wagte nicht, sich zu bewegen, denn sie befürchtete, Brendan aufzuwecken, wenn sie den Arm hob.
Er hatte sich im Schlaf noch mehr zu ihr hingedreht, und sein Arm lag jetzt quer über ihr, mit seiner Hand auf ihrer Schulter. Es war, als umarme er sie im Schlaf. Und sie spürte seinen Atem an ihrem Hals.
Der Morgen mochte grau und ungemütlich sein und ihre Beine ungeschützt der Kälte ausgesetzt. Doch in diesen wenigen Minuten, die bis zu seinem Erwachen verstrichen und in denen sie reglos unter seinem Arm lag, erfüllte sie auf einmal eine wunderbare innere Wärme. Ihr war, als könnte sie ewig so liegen bleiben.
Und mit einem Mal wusste sie, dass es mit Brendan Flynn wieder jemanden in ihrem Leben gab, dem sie ihre tiefe Zuneigung schenken konnte – und ihm so nahe zu sein wie jetzt, weckte in ihr ein verwirrend neues Gefühl, das fast an Glück grenzte.
Neunzehntes Kapitel
Statt für einen elenden Hungerlohn irgendwelche idiotische Straßen bauen zu lassen, die ins Nichts führen, dort auch enden und wohl noch in hundert Jahren unvollendet bleiben, hätten sie mal lieber diese Landstraße hier anständig ausbessern sollen«, grollte Brendan, als sie am Vormittag durch den Matsch der vom Regen völlig aufgeweichten Straße nach Carlow wateten.
»Es wird wohl keinen hübschen Steinbruch in der Nähe geben, wo sie uns faule Iren ordentlich hätten quälen können«, sagte Éanna. »Und ohne zermürbendes Steineklopfen und schwere Körbe auf dem Rücken geht es bei diesen Arbeitsprogrammen offenbar nicht. Da könnten wir uns ja auf die faule Haut legen und den Hungerlohn fast im Schlaf verdienen.«
Er nickte grimmig. »Du sagst es! Ohne einen Steinbruch wäre das für uns irische Faulpelze ja auch wirklich eine zu leichte Arbeit gewesen!«
Éanna gab einen schweren Stoßseufzer von sich. »Und doch
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