Wildes Herz
Lockenraub zu necken bereitete ihm Vergnügen.
„Lies den Vers noch mal“, sagte Ty lächelnd. „Du hast ihn so hastig überflogen, dass ich fast nichts mitbekommen habe.“
Sie neigte den Kopf über die abgegriffene Bibel und murmelte: „Eitelkeit über Eitelkeit... alles ist Eitelkeit!“
„Das ist Prediger“, bemerkte er gedehnt. „Vorhin hast du aus Salomons Hohelied gelesen, über eine Frau, die von ihrem Liebsten spricht. ,In seinen Garten ging mein Geliebter zu den Balsambeeten, um in den Gartengründen zu weiden, um Lilien zu pflücken.“ Was glaubst du, Bursche? Was meinen diese Worte wirklich?“
„Er hatte Hunger.“
„Schon, aber wonach?“ Er streckte sich. „Kennst du die Antwort, bist du ein Mann, ganz gleich, wie groß oder wie alt.“
Janna betrachtete die muskelbepackten Arme und den gut gebauten Oberkörper. Wieder schwor sie sich, gleich morgen in Sweetwater neue Kleider für Ty zu kaufen. Nur mit dem Lendenschurz bedeckt, würde sie seinen Anblick kaum länger ertragen. Die Versuchung, mit der Hand über die männlich prallen Formen zu streichen, war zu groß.
Sie stellte sich das Gesicht vor, das er machen würde, sollte sie nicht widerstehen können. Der Gedanke ließ ihren Humor zurückkehren. Sein Entsetzen zu sehen wäre beinahe das Wagnis wert. Bis die Zeit dafür reif war, musste sie sich mit dem Unbehagen zufrieden geben, das er immer dann zeigte, wenn sie sich zu dicht über ihn beugte oder ihn zufällig streifte. Die Nähe des „Burschen“ machte ihn beklommen.
Ty betrachtete die vollen Lippen, die sich zu einem versonnenen Lächeln formten. Ihn durchzuckte ein Gefühl, das verdächtig an lustvolles Verlangen erinnerte.
Verflucht, dieser Junge ist viel zu weiblich. Er gefährdet meine Selbstachtung und erst recht meinen Frieden. Wohl besser, ich weiche meinen Körper ordentlich ein. Hoffen wir, dass ein Bad in den heißen Quellen weiter oben im Tal meinen Trieb besänftigt. So viel Hunger hatte ich nicht, seit ich vierzehn war. Ich brauche eine Frau.
Angeekelt von sich selbst, stand er schwungvoll auf. Überrascht von der plötzlichen Bewegung, ließ Janna das Buch fallen. Ein einzelnes Blatt, das zwischen zwei Seiten eingeklemmt war, flatterte heraus. Ty fing es auf, bevor Janna hinlangen konnte. Er blickte auf das Papier und stieß einen bewundernden Pfiff aus.
„Ja, das ist eine Dame“, sagte er, die Zeichnung betrachtend. Sie zeigte eine Frau in Abendrobe und mit kunstvoll frisiertem Haar. „Solche Eleganz sieht man selten. Woher hast du das Bild?“
„Mein Vater hat es gezeichnet, als Mutter noch lebte.“
„Ist das deine Mutter?“
Janna nickte.
„Jetzt verstehe ich, woher du den feinen Knochenbau hast und ...“ Ty unterbrach sich. Dem Burschen zu sagen, dass sein Mund einer Kurtisane alle Ehre machen würde und seine Augen viel zu groß waren für einen Knaben, hatte keinen Sinn. Stattdessen widmete er dem Bild seine Aufmerksamkeit und nicht dem feenhaften Wesen, dessen Haut und Haare dufteten wie eine warme Sommerwiese.
„Dein Vater konnte sich glücklich schätzen. Von solch einer Frau träumt ein Mann. Alles an ihr ist zart, glatt und weich wie Seide. Sobald ich Lucifer gefangen und meine Herde aufgebaut habe, reise ich nach Europa und werbe um eine feine Dame wie diese. Ich werde sie heiraten, in mein Haus bringen und mit ihr starke Söhne und seidenzarte Töchter zeugen. “
„Hier im Westen hält Seide nicht lange“, bemerkte Janna steif.
Er lachte. „Deshalb mache ich zuerst mein Vermögen. Von einer feinen Dame würde ich nie erwarten, in einer Holzhütte zu leben und sich die zarten Hände an Gestrüpp und Steinen aufzureißen.“
Sie blickte auf ihre Hände. Sie waren nicht rau, aber auch nicht seidenglatt. „Zartheit ist nicht alles.“
Er schüttelte den Kopf, in seinem Traum gefangen. „Bei einer Frau schon. Ich bekomme meine Seidendame, oder ich nehme gar keine Frau. Höchstens um meine Lust an ihr zu stillen.“
Die Worte trafen Janna wie Messerstiche. Sie erschrak über den Schmerz, über den Zorn und das Gefühl... betrogen worden zu sein.
„Warum glauben Sie, ein» Seidendame würde einen Mann wie Sie nehmen?“ fragte sie kalt.
Er lächelte in sich hinein. „Ich scheine Frauen zu gefallen, vor allem wenn ich gewaschen und gekämmt bin.“
„Ach“, schnaubte sie. „Selbst wenn Sie sich von jetzt bis Weihnachten schrubbten, glaube ich kaum, dass eine dieser feinen Damen mehr als einen Blick auf Sie riskieren
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