Wildes Herz
Versteck zurückgezogen und abgewartet, bis der Verfolger aufgab. Wenn Cascabels Männer auf ihre Spuren trafen und Jagd auf sie machten, hatte sie das oft getan. Immer hatte sie mehr Geduld bewiesen als ihre Jäger.
Das war früher gewesen. Die Geduld des Mädchens verflog schneller, als die heiße Wüstensonne das Regenwasser in den Pfützen trocknete. Jede Minute, die Janna in ihrem Versteck blieb, verschaffte Joe Troon eine Minute Vorsprung auf seiner Suche nach Lucifer. Sie litt Höllenqualen, wenn sie daran dachte, vor allem weil Ty keine wirkliche Gefahr für sie darstellte. Selbst wenn er sie fand, würde er sie weder schlagen noch vergewaltigen oder foltern. Sie traute ihm nicht zu, dass er ihr überhaupt Schmerzen zufügen konnte. Mit einer Ausnahme. Er durfte sie nicht daran erinnern, wie weit sie von seinem Ideal der Seidendame entfernt war.
Bei dem unglückseligen Gedanken sackten ihre Mundwinkel nach unten. Um ihr Erscheinungsbild hatte sie sich nie besonders gekümmert. Bei der Auswahl ihrer Kleidung zählte nur, dass sie in der kargen Felslandschaft kein leichtes Ziel bot. Als Ty in den neuen Sachen und mit rasierten Wangen vor ihr aufgetaucht war, war ihr schlagartig bewusst geworden, wie gut er aussah und wie wenig Ähnlichkeit sie mit der gepflegten Dame hatte, die ihn begeistern und an sich fesseln konnte.
Wäre sie zerbrechlich und zart wie die Seidendame, nach der er suchte, wäre nach dem Tod ihres Vaters auch sie an dem einsamen Wasserloch gestorben. Sie war ganz allein gewesen und hatte sich selbst helfen müssen. Und hätte sie am Wasserloch überlebt, wäre sie wenig später vor Hunger umgekommen. Eine verwöhnte Dame würde kaum jagen und töten, damit sie zu essen hatte. Statt unglücklich zu sein, sollte sie Gott danken. Sie war selbstständig und konnte unter den harten Bedingungen der Wildnis überleben.
Will ich tatsächlich ein zartes, verwöhntes Geschöpf sein, um auf Ty anziehend zu wirken fragte sie sich vorwurfsvoll.
Ja.
Die Antwort war prompt und ehrlich und besserte ihre Stimmung nicht. Missmutig starrte Janna in das Gelände, das sie von ihm trennte.
Hätte ich nur oberflächliche, nichtsnutzige Dinge im Kopf, wäre er längst von Cascabel aufgespürt und umgebracht worden. Hat Ty je darüber nachgedacht? Nein. Er schmachtet nach seiner unwirklichen Traumfrau, die bereits angesichts der Zumutung, sich das Haar ohne fremde Hilfe kämmen zu müssen, in Ohnmacht fallen würde.
Zornig bückte sie zu ihm hinüber. Verdammt, nun beweg dich endlich! Ich habe Besseres zu tun, als hier herumzusitzen.
Er blieb an seinem Platz hocken.
Wieder verging eine halbe Stunde. Janna sah die Schatten wandern, während die Sonne am Himmel ihre Bahn zog. Über den Felsschluchten krächzten schrill die Raben. Kaninchen nagten an Buschwerk. Eidechsen huschten als schwarze Umrisse über den heißen Fels und zogen den eigenen Schatten hinter sich her. Über Jannas Kopf kreiste ein Habicht. Er schleuderte seinen scharfen Schrei wie eine Lanze zur Erde. Am liebsten hätte Janna zurückgeschrien, um ihrem wachsenden Ärger Luft zu machen.
Sie hörte noch ein Geräusch, das mehr einem Gewehrschuss ähnelte als dem Schrei eines Habichts. Das Geräusch kam aus größerer Entfernung und wiederholte sich nicht.
Drei Gedanken drangen gleichzeitig in ihr Bewusstsein. Kein Weißer war verrückt genug, auf wilde Tiere zu schießen, wenn die Gefahr bestand, damit die Aufmerksamkeit von Cascabels Abtrünnigen auf sich zu lenken. Möglich war aber, dass Troon auf Lucifer geschossen hatte. Und statt das offene Gelände zu beobachten, das zwischen ihr und der Aufstiegsroute zum Black Plateau lag, würde Ty wahrscheinlich in die Richtung sehen, aus der geschossen wurde.
Kaum war der Gedanke in ihrem Kopf, handelte Janna. Sie sprang
aus der Felsspalte, die ihr Versteck gewesen war, und rannte los.
Ty hatte den Gewehrschuss im selben Moment wie Janna gehört. Statt in die Richtung zu sehen, aus der geschossen wurde, richtete er den Blick unbeirrt auf das zerklüftete Land, das sich zwischen seinem Beobachtungsposten und dem Black Plateau ausdehnte. Er wusste, was geschehen war oder noch geschah, war zu weit weg für ihn. Er konnte nicht eingreifen.
Er entdeckte Janna sofort. Während der vergangenen Stunden hatte er die verschiedenen Möglichkeiten durchgespielt, wie der schwach erkennbare Pfad auf das Black Plateau zu erreichen war. Jetzt zögerte er keine Sekunde. Er sprang auf und rannte aus dem Stand
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