Wildes Herz
abgestorbenen Äste schien gelegentlich ein Stück sonniger Wiese auf.
Im Wald und auf der Wiese verliefen Wildwechsel in alle Richtungen. Wenn Janna auf einen ausgetrampelten Pfad stieß, blieb sie stehen und las die hinterlassenen Spuren. Im feuchten Boden blieben die Fährten lange erhalten. Sie zeigten die Anwesenheit von Rotwild, Kojoten, Pumas und Bären, von Menschen und Pferden. Die ersten
Wildwechsel bestanden aus einer Schnur schwacher Abdrücke, die an umgestürzten Bäumen vorbei und zwischen Baumstämmen hindurch verlief. Der vierte Trampelpfad, den sie entdeckte, war deutlicher ausgeprägt, denn er wurde oft von Wildpferden benutzt. Er begann am westlichen Wiesenrand und führte in beinahe gerader Linie zur Nordwestkante der Hochfläche, wo sich der Raven Creek auf dem Weg in den warmen, flachen Santos Wash durch die Felsenlandschaft fraß. An diesem Einschnitt bewachte auch das ständig größer werdende Lager von Cascabels Abtrünnigen den nordwestlichen Zugang zum Plateau.
Plötzlich ging Janna in die Knie. Ihr Herz pochte heftig. Neben dem breit niedergetrampelten Hauptpfad hatte ein großes, unbeschlagenes Pferd eine unregelmäßige Spur hinterlassen.
„Lucifer.“ Janna spreizte die Finger, um den riesigen Abdruck zu messen.
„Bist du sicher?“ fragte Ty, rasch neben ihr in die Hocke gehend. „Viel ist nicht von der Spur zu erkennen.“
„Kein anderes Pferd hat diese Größe. Nur das von Cascabel. Nichts deutet darauf hin, dass dieses Pferd jemals Hufeisen getragen hat. Cascabels Pferd wurde beschlagen.“
Stumm suchte er auf beiden Seiten des Wildwechsels nach weiteren Spuren. Er brauchte nicht lange.
„Janna.“
Sie richtete sich auf und rannte zu ihm.
„Er ist von der Wiese gekommen. Etwas hat ihn sehr aufgeregt“, sagte er leise. Er wies auf die Stelle, wo Lucifer mit seinen Hufen tiefe Spuren in den Waldboden gerissen hatte. Weggeschleuderte Erdklumpen und Steine bezeugten, wie heftig sein Tritt gewesen war. „Er ist durch den Wald geflüchtet.“
Sie hob den Blick von der aufgewühlten Erde und spähte durch die dicht stehenden Bäume. Eine schwache Spur verrutschter Piniennadeln deutete seinen Weg an. Janna bückte sich und prüfte mit den Fingern die Abdrücke und den unberührten feuchten Boden darum.
Dann sah sie das Blut.
Joe Troon hat sein Gewehr genommen und ist auf Jagd gegangen. Er will Lucifer kampfunfähig schießen. Oder er bringt ihn um.
Mit zitternder Hand berührte sie die Blutspur. Sie war nicht frisch, aber auch nicht völlig verblichen.
„Die Spuren sind einige Stunden alt“, sagte Ty.
„Das Blut auch.“
Ohne aufzusehen, spürte Janna an der Bewegung, dass Ty den Kopf in ihre Richtung riss. Innerhalb von Sekunden saß er neben ihr in der Hocke und rieb eine Probe des daumennagelgroßen dunklen Fleckens zwischen den Fingern. Er starrte auf das geronnene Blut und verfluchte den Mann, der nicht betrunken genug gewesen war, um richtig daneben zu schießen.
„Ich wette, das ist kurz vor Tagesanbruch geschehen“, sagte Ty.
„Wir haben mehr als einen Schuss gehört.“
Er brummte. „Hier reiten viele Abtrünnige herum, die Ärger suchen. Vielleicht ist einer von ihnen auf Joe Troon gestoßen.“
Er rieb sich die Hand an der Hose sauber und stand auf. Die Vorstellung, dass der herrliche Hengst langsam verblutete, bereitete ihm Übelkeit. Doch bevor sie Lucifers Spuren folgen konnten, mussten sie feststellen, ob sie mit Joe Troon oder einer Gruppe Abtrünniger zu rechnen hatten.
„Ich suche noch einmal das Gelände in Wiesennähe ab und versuche herauszufinden, was Lucifer erschreckt hat“, sagte Ty. „Du folgst seiner Spur. Ich komme nach. Wenn du die Fährte verlierst, bleibst du, wo du gerade bist, und wartest auf mich.“ Er blickte in ihre klaren Augen. „Willst du den Karabiner?“
Sie schüttelte den Kopf. „Behalte ihn. Ich habe seit Jahren nicht mehr mit einer Flinte geschossen. Pfeil und Bogen oder Schlingen sind für die Jagd auf Wild besser. Sie machen weniger Geräusche.“
„Dann nimm wenigstens meine Pistole.“
Janna zögerte und gab nach. Sollte sie mit den Abtrünnigen Zusammenstößen, würde weder ihm noch ihr geholfen sein, wenn sie außer ein paar Piniennadeln nichts hatte, was sie nach den Angreifern werfen konnte.
Vor Unbehagen die Stirn runzelnd, beobachtete Ty, wie sie seinen großen Revolver unter ihren Gürtel schob. Sein Verstand sagte ihm, die Angst, sie allein zurückzulassen, war unbegründet. Immerhin
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