Wildes Herz
und beschnupperte das Wasser, bevor er hineinhumpelte; wie ein Tier, das viel zu erschöpft war, um etwas anderes zu tun, als einfach der Richtung zu folgen, in die es geführt wurde.
Zwischen den eng stehenden Wänden war das Mondlicht nur als blasser Schimmer auf der Wasseroberfläche zu erkennen. Mit ihren vier Beinen und der besseren Nachtsicht waren die Pferde den Menschen gegenüber leicht im Vorteil, trotzdem bedeutete das Nadelöhr auch für sie eine Strapaze. Janna, die den Weg am besten kannte, glitt zweimal gefährlich aus und entging nur knapp einem Sturz. Ty fiel vier Mal hin und war froh, noch glimpflich davongekommen zu sein.
Dann traten sie auf der anderen Seite ins Freie. Der Regen, das von den Wänden herabströmende Wasser und der eigene Schweiß hatten Mensch und Tier völlig durchnässt.
„Das wäre geschafft, Mädchen“, sagte Janna müde und tätschelte das pralle Gesäß der Stute. „Wir sind zu Hause.“
Zebra trottete hinaus in das Mondlicht, zielstrebig auf die Wiese mit frischem Gras und süßem Klee zusteuernd, die sie von einem früheren Besuch kannte. Ty überlegte, ob er Lucifer Fußfesseln anlegen sollte, besann sich jedoch anders. Der Hengst war zu erschöpft, noch einmal durch das Nadelöhr zu gehen, selbst wenn er von Zebra wegwollte. Mit wenigen Bewegungen löste Ty den Hackamore und verrieb alle Druckspuren, die das Leder am Kopf des Pferdes hinterlassen hatte. Die Berührung sichtlich genießend, schmiegte sich Lucifer gegen seine Hand.
„Ja, ich weiß. Daran könnte man sich gewöhnen“, murmelte Ty und dachte an die vergangene Nacht mit Janna. „Morgen reibe ich dich richtig ab. Jetzt brauchst du das Futter mehr als meine Zärtlichkeiten. Folge Zebra, mein Sohn. Sie weiß, wo hier die süßen Leckerbissen wachsen.“
Ty nahm seine Hand weg. Es dauerte eine Weile, bis der Hengst begriff, dass er frei war. Er schnaubte, schüttelte den Kopf und humpelte der Stute hinterher. Ty wandte den Blick gerade rechtzeitig von ihm ab und sah, wie Janna zwischen den Weiden verschwand, die den Bachlauf säumten.
Als Ty die Halbhöhle erreichte, die Jannas Zuhause war, loderten kleine Flammen auf und verbreiteten ihren Lichtschein in die Dunkelheit. Janna saß, auf die Fersen gestützt, vor der Feuerstelle und legte Brennholz aus dem Vorrat nach, den sie in einer trockenen Ecke unter dem Felsendach aufbewahrte. Als das Feuer richtig brannte, fügte sie feuchte Zweige von einem Stapel vor der Höhle dazu.
Sie wartete, bis das Wasser in dem Kessel über dem Feuer warm wurde. Dann ging sie zu der kleinen Truhe, die sie vor drei Jahren mühselig durch das Nadelöhr gebracht hatte, nachdem sie das geheime Tal entdeckt und zu ihrem Zuhause auserkoren hatte. Der größte Teil der Truhe war mit Büchern angefüllt, in dem restlichen Teil bewahrte sie die Kleidungsstücke ihres Vaters auf, die ihr geblieben waren; ein zerlumptes Hemd, eine Sonntagshose und ein Paar Socken. Daneben lagen die Mokassins, die sie im letzten Frühjahr
gegen Medizin eingetauscht hatte.
„Ich habe drei Hemden aus dem Laden des Priesters mitgenommen. Willst du eines davon?“
Sie fuhr zusammen, als sie Tys Stimme hörte. Janna hatte nicht bemerkt, dass er den Lagerplatz betreten hatte. Aber er war da. Er stand an der anderen Seite des Feuers und reckte seine vom Tragen müden Arme und Beine. Der schwere Rucksack lehnte an der Felswand. Ty nahm den Hut ab und schlug ihn gegen seinen Oberschenkel. Das Wasser aus der Krempe spritzte als feiner Regen nach allen Seiten.
„Nein“, sagte Janna und wandte sich ab, mehr als das angebotene Hemd ablehnend.
Sie löste die Schnürbänder an ihren durchnässten Mokassins und stellte die kniehohen Stiefel zum Trocknen beiseite. Mit kalten Händen griff sie unter den Umhang und wickelte sich aus der Stoffbahn, die ihre Brüste flach presste. Bei jeder Bewegung, die sie machte, zuckte ein scharfer Schmerz durch ihren verletzten Arm. Sie hatte schon Schlimmeres durchgestanden, und dieser Schmerz würde vorübergehen.
Ty machte sich nicht die Mühe, Janna zu fragen, ob sie Hilfe bräuchte. Er wusste, sie würde ihn zurückweisen. Wortlos nahm er den hinderlichen Umhang von ihren Schultern und warf ihn beiseite. Sein Blick fiel auf die Prellung am Arm. Er sog zischend den Atem ein. Die Verletzung sah schlimmer aus, als sie war. Das wusste er aus Erfahrung. Trotzdem hasste er den Anblick des dunklen Schattens auf ihrer Haut, der Schmerz bedeutete.
„Hast du nichts, womit
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