Wildes Lied der Liebe
mehr als hübsch. Sie war bildschön. Ihr Anblick - das glänzende dunkle Haar, die grauen Augen, die zarte Haut und schlanken weiblichen Formen - hatte ihn mit der Wucht eines Fausthiebs getroffen, von dem er sich noch immer nicht erholt zu haben schien. Herr im Himmel, er hatte es sogar genossen, sich mit ihr zu streiten.
Nachdenklich rieb sich Zachary das Kinn, spürte die Bartstoppeln und blinzelte in den gesprungenen Rasierspiegel, der neben dem Fenster hing. Eigentlich sah er kaum verändert aus, kam jedoch in letzter Zeit auf einigermaßen sonderbare Gedanken. Plötzlich verspürte er Lust zu tanzen, doch keinesfalls mit einer der Damen, die im Golden Garter ihren Geschäften nachgingen. Nein, er suchte nur nach einer Ausrede, damit er die Arme um Christy McQuarry legen konnte, so viel stand fest. Musik war nicht zwingend erforderlich. Außerdem ertappte er sich jedoch auch bei der Überlegung, wie es wohl sein mochte, in einem gemütlichen Haus zu wohnen, mit einer liebevollen Ehefrau und einem halben Dutzend Kinder, wie seine Eltern es einst getan hatten.
Zachary rief sich ins Gedächtnis, dass er nicht mehr als zwanzig Dollar im Monat verdiente, und das auch nur, wenn sich der Stadtrat sein Gehalt leisten konnte. Häufig genug konnte er es nicht. Zachary legte sich den Handrücken an die Stirn und lächelte sein Spiegelbild ein wenig spöttisch an. Kein Fieber.
Jedenfalls nicht in seinem Kopf.
Christy nahm allen Mut zusammen und betrachtete die baufällige Hütte. Laut Traces Auskünften handelte es sich um eine ehema li ge Behausung der Paiute-Indianer. Das Dach bestand aus undichten Tierhäuten, die mehr von Wunschdenken als von Lederriemen zusammengehalten wurden. Trace und Bridget hatten die Hütte bei schlechtem Wetter als Pferdestall benutzt und auch selbst darin gewohnt, während sie ihr Haus gebaut hatten. Doch auch dieses Wissen tröstete Christy nur wenig.
»Du musst den Verstand verloren haben!«, rief Caney und stemmte entrüstet die Hände in die Hüften. »Miss Bridget und Mister Trace haben dieses große, schöne Haus am anderen Ufer, und du willst hier wohnen?«
Christy drehte sich zu der Frau um, die sie als ihre einzige wahre Freundin betrachtete, auch wenn Caney sie manchmal zur Weißglut trieb. »Bitte, du kannst von mir aus gern bei Bridget wohnen, wenn du willst«, erklärte sie mühsam beherrscht.
»Das sollte ich wirklich tun. Wenigstens gibt es drüben im Haus richtige Betten. Es hat Fenster und ein Dach, durch das man nicht den Sternenhimmel, sehen kann.«
Energisch begann Christy, die von Steinen begrenzte Feuerstelle in der Mitte der Hütte zu fegen. Sie hatte sich aus Zweigen und dünnen Ästen notdürftig einen Reisigbesen gebunden und strapazierte ihn sehr. »Das ist in Ordnung. Sch li eßlich bist du nicht mehr die Jüngste und brauchst etwas mehr Bequemlichkeit. Außerdem scheint das Winterquartier in Fort Grant dich ein wenig verweichlicht zu haben.«
Caney schluckte den Köder wie eine Forelle, die nach der Fliege eines Anglers schnappt. Christy, die ihr wieder den Rücken zugekehrt hatte, lächelte schelmisch. »Was soll das heißen? Ich bin erst zweiundvierzig Jahre alt und kann mehr Arbeit leisten als zwei kräftige Kerle. Habe schließlich dich und Megan den langen Weg bis hierher gebracht, oder etwa nicht?«
»Allerdings«, meinte Christy, bemüht, ihr Lächeln zu verbergen.
»Und du glaubst, ich hätte nicht genug Schneid, um in dieser Hütte zu übernachten? Ich habe mein müdes Haupt schon an viel schlimmeren Orten zur Ruhe gebettet.«
Christy fegte lächelnd weiter und schwieg.
»Verdammt noch mal«, brummte Caney missmutig, »du weißt ganz genau, dass Miss Megan auch hier übernachten wird, loyale Schwester, die sie ist. Damit habe ich doch gar keine andere Wahl. Würde ohnehin kein Auge zutun, wenn ich an die Wölfe und Banditen und Indianer denke, die euch überfallen könnten. Nach allem, was ich durchgemacht habe, um euch heil und ganz nach Nevada zu bekommen ...«
Allmählich bekam Christy ein schlechtes Gewissen. Sie hatte sich einst geschworen, niemals wie ihre Mutter zu handeln, die andere Menschen nur benutzt und schamlos deren Schwächen ausgespielt hatte, um Vorteile zu erlangen, und nun ertappte sie sich dabei, eben diese Taktiken anzuwenden. »Es tut mir Leid«, versicherte sie, wandte sich um und sah Caney offen an. »Ich hätte das nicht sagen dürfen. Eigentlich wollte ich dich nur beeinflussen ...«
Caney lachte laut auf.
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