Wildes Lied der Liebe
von ihrer Begegnung mit der alten Indianerin. »Sie werden mich töten, falls das Kind stirbt, nicht wahr?« Die Erkenntnis traf sie ganz plötzlich, obwohl sie schon länger eine gewisse Unruhe verspürt hatte. »Die Indianer, meine ich.«
Zachary lächelte zwar nicht, wirkte jedoch auch nicht sonderlich besorgt. »Sie könnten es versuchen.«
Danach ritten sie schweigend weiter und machten einige Stunden später an einem Gebirgsbach Rast, um die Pferde zu tränken. Christy zog ihren Unterrock aus, und Zachary machte daraus eine Schlinge, in der sie das Baby sicher tragen konnte, ohne dass ihr die Arme schmerzten. Inzwischen hatten sie herausgefunden, dass es sich bei dem Kind um ein Mädchen handelte.
»Ich möchte Sie etwas fragen«, begann Zachary, als sie aufbrachen. Er hatte sich die Trageschlinge umgelegt, in der die Kleine sicher ruhte, und saß auf.
Christy seufzte. »Was denn?« Sie war müde und machte sich Sorgen um das Kind, für dessen Wohl sie nun durch eine Fügung des Schicksals verantwortlich war. Sie stieg in den Sattel und nahm die Zügel der Stute auf.
»Wo haben Sie gelernt, so zu reiten? Sie sind auf dem Pferd so sicher wie ein Indianer.«
Christy lächelte trotz der körperlichen und seelischen Erschöpfung. Sie hatte Hunger, doch es würde noch Stunden dauern, bis sie ihr Ziel erreichten. »Ich wuchs auf einer Farm in Virginia auf«, antwortete sie, »und kann mich nicht daran erinnern, jemals nicht mit Pferden umgegangen zu sein. Vermutlich saß ich schon im Sattel, ehe ich laufen konnte, dafür hat mein Vater bestimmt gesorgt.«
»Erzählen Sie mir von ihm.«
Es war nur gerecht. Zachary hatte über seine Familie gesprochen, also gab es für sie keinen Grund, ihm nicht auch von ihrer zu berichten. »Der Name meines Vaters war E li McQuarry. Er war ein Tunichtgut seit dem Tag seiner Geburt, trank mehr als die übrige Gemeinde zusammen und ritt wie der Teufel. Er und Onkel J.R. duellierten sich eines Tages wegen einer Frau, und kurz darauf ging meine Mutter nach England - mit einem Mann, den sie in Richmond kennen gelernt hatte. Megan und mich nahm sie mit.« Eigentlich hatte sie schon mehr preisgegeben, als es ihre Absicht gewesen war, doch es war nun nicht mehr zu ändern.
»Hat es Ihnen in England gefallen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, ich hatte Heimweh nach Virginia und meinem Großvater. Manchmal war es so schlimm, dass ich glaubte, daran sterben zu müssen.«
Zacharys Haar schimmerte golden im Licht der Nachmittagssonne. Mit einem Arm stützte er das kleine Mädchen in der Trageschlinge. »Haben Sie noch immer Heimweh?«
Christy prüfte ihr Herz gründlich. »Nein«, antwortete sie schließlich. »Es hat sich etwas verändert.«
Er nickte und drehte sich zu ihr um. Doch sie konnte seinen Gesichtsausdruck nicht erkennen, da seine Züge vom Schatten der Hutkrempe verdunkelt wurden. »Also ist Primrose Creek jetzt Ihr Zuhause?«
Christy wich seinem Blick nicht aus, obwohl die Versuchung groß war. »Ja«, erwiderte sie, »so ist es.«
5
Der Anblick des Sees, der sich wie ein funkelnder Saphir ausnahm in einer Fassung aus Bäumen, Bergen und Himmel, raubte ihr schier den Atem. Lange Zeit vermochte sie nicht zu sprechen, sondern stand nur in den Steigbügeln und betrachtete die verblüffende Landschaft. Andächtig nahm sie das herrliche Bild in sich auf und fühlte sich den Tränen nahe, nicht aus Kummer, sondern aus reiner Freude.
Als die Sonne den Horizont entflammte, leuchtete das stille Wasser in Schattierungen von Gold, Silber und Purpur.
Zachary, der noch immer das Baby auf dem Arm trug, brachte sein Pferd neben Christy zum Stehen. »Die Einheimischen nennen den See Tahoe«, erklärte er. »Es ist die einfache Version eines Worts der Washoe-Indianer, das Weiße nicht aussprechen können. Viele Indianer nennen ihn jedoch einfach den >Himmelssee<.«
Langsam und zögernd atmete Christy aus. Tatsächlich schien diese Bezeichnung treffend zu sein, denn man hätte wirklich glauben können, ein Stück Himmel sei zur Erde herniedergeschwebt und habe sich sanft inmitten der prächtigen Landschaft niedergelassen. »Ich habe noch nie in meinem Leben etwas so Schönes gesehen«, bemerkte Christy leise. »Niemals.«
Sie spürte förmlich sein Lächeln, noch ehe sie einen Blick auf sein Gesicht erhaschte. »Es lässt einen Menschen an Gott glauben«, stimmte Zachary zu. »Es gibt keine andere Erklärung für einen Anblick wie diesen.«
»Ich möchte nie wieder von hier
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