Wildes Lied der Liebe
und Eigensucht handelte. Doch er wusste es besser. Christy hatte mit ansehen müssen, wie ihre Welt in sich zusammengestürzt war, und war irgendwie auf den Gedanken verfallen, weitere Verluste und schmerzliche Erfahrungen vermeiden zu können, wenn sie nur genug Geld besaß.
Gedankenverloren setzte Zachary seine Schnitzerei fort. In Primrose Creek, auf dem Schreibtisch in seinem Büro, lag ein Stapel Steckbriefe. Als Trace ihn geholt hatte, war er gerade dabei gewesen, jeden Einzelnen gründlich zu studieren. Bei einigen der Belohnungen handelte es sich um kleine Vermögen. Mit ein wenig Geschick würde es ihm vielleicht gelingen, den Bürgermeister und den Stadtrat davon zu überzeugen, einen Vertreter einzustellen, der in der Stadt für Ordnung sorgte, während er selbst sich auf die Kopfgeldjagd machte ...
»Glauben Sie, dass sie sterben wird?«
Zachary blickte auf, ein wenig verblüfft von der Frage. Erst nach einigen Augenblicken begriff er, dass Christy von dem Kind sprach, das sie Jenny getauft hatten. Er räusperte sich, bevor er antwortete. »Wir müssen uns wohl darauf gefasst machen«, sagte er. »Andererseits scheint sie eine hartnäckige junge Dame zu sein. Viele andere Babys hätten nicht einmal den Ritt hierher überlebt.«
»Ich kann mich des Gedankens nicht erwehren, dass es ein Fehler war, ihr eine so anstrengende Beise zuzumuten.«
»Welche andere Wahl wäre Ihnen schon geblieben?«
Zachary beobachtete Christy, während diese Jenny betrachtete. Ihre Gefühle standen ihr ins Gesicht geschrieben und zeigten sich in dem leichten Zittern ihrer Hand, mit der sie dem Kind sanft über die Stirn strich. In Zachary stieg der Wunsch auf, sie vor dem Kummer zu bewahren, der ihr bevorstand, er wusste jedoch, dass dies nicht in seiner Macht stand.
Christy wandte den Blick nicht von der Kleinen ab. »Ich weiß es nicht. Es gab keine Möglichkeit, sie in der Stadt unterzubringen, und wenn ich sie zu Hause gepflegt hätte, wäre Megan womöglich angesteckt worden.
»Was ist mit Ihnen?«
Erschöpft und verblüfft sah Christy ihn an. »Ich verstehe nicht.«
»Sind Sie gegen Scharlach immun, Christy?« Die Antwort auf diese Frage schien ihm wichtiger zu sein als sein nächster Herzschlag. Zachary fragte sich, warum er sich nicht schon vorher danach erkundigt hatte, kam jedoch sogleich zu dem Ergebnis, dass er sich schlichtweg vor der Antwort gefürchtet hatte.
Ihr Zögern und das unsichere Lächeln, das flüchtig auf ihren Zügen erschien, verrieten ihm die Wahrheit, dennoch hielt er den Atem an, bis Christy antwortete.
»Ich kann mich nicht daran erinnern, je Scharlach gehabt zu haben. Auf dem Treck gab es einige Fälle von Diphtherie und Cholera. Ich pflegte die Kranken zusammen mit Caney, wurde jedoch selbst nicht krank.« Sie schluckte schwer. »Und Sie, Zachary? Hatten Sie Scharlach?«
Er nickte. »Ja, als ich noch ein Kind war, gab es in Denver eine Scharlach-Epidemie. In meiner Familie hatten wir zwar keine Todesfälle zu beklagen, doch zwei meiner Schwestern sind schwerhörig, und mein jüngster Bruder hat seitdem ein schwaches Herz.« Er ließ Christy etwas Zeit, ihre Fassung wiederzugewinnen, denn es war offensichtlich, dass sie nahe daran war, in Panik zu geraten. Zachary legte sein Schnitzwerk zur Seite. »Kommen Sie«, bat er leise, »lassen Sie mich eine Weile auf Miss Jenny Acht geben. Sie brauchen Buhe.«
Zögernd übergab Christy ihm das Baby und ging zum See hinunter, um sich Gesicht und Hände zu waschen und die Landschaft zu betrachten.
Zachary widerstand der Versuchung, ihr zu folgen und sie in die Arme zu schließen, doch nur um Haaresbreite. Er holte seine Feldflasche und förderte einen leicht verbogenen Löffel aus den Tiefen seiner Satteltaschen zu Tage, hielt Jenny jedoch die ganze Zeit sanft in einem Arm.
Dann ließ Zachary sich unter einem Baum nieder, die Knie gebeugt, sodass die Kleine auf seinen Beinen ruhen konnte und flößte ihr tropfenweise Wasser ein. So sehr konzentrierte er sich auf diese Aufgabe, dass er Christy nicht einmal zurückkommen hörte.
»Sie sind ein gütiger Mann, Zachary«, bemerkte sie, als hätte es je einen Zweifel daran gegeben.
Er lächelte melancholisch. »Ja, meine Güte und ein Dollar sorgen dafür, dass ich im Golden Garter etwas zu trinken bekomme.« Er gab Jenny etwas mehr Wasser. »Ich habe nur eine Decke«, erklärte er und machte sich auf Christys Protest gefasst. »Wir müssen sie uns teilen.«
Einmal mehr überraschte sie ihn.
Weitere Kostenlose Bücher