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Wildhexe 1 - Die Feuerprobe

Wildhexe 1 - Die Feuerprobe

Titel: Wildhexe 1 - Die Feuerprobe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lene Kaaberbol
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hatte und mich bewegen konnte. Das konnte ich. Aber Oscar lag reglos da.
    »Oscar?«, flüsterte ich. Und dann etwas lauter: »Oscar!«
    »Ja, ja«, sagte er gereizt, als hätte ich ihn aufgefordert, aufzustehen und in die Schule zu gehen. »Uh. Autsch, mein Kopf tut weh.«
    Er setzte sich zur Hälfte auf, und ich sah einen dünnen Streifen Blut, der aus einer Platzwunde auf seiner Stirn sickerte. Bestimmt war er mit dem Kopf gegen die Mauer oder den Bordstein geknallt. Aber wenigstens hatte er sich aufgesetzt, schaute mich an und war in der Lage zu sprechen.
    Eine Reihe anderer Leute hatte sich um uns versammelt. Eine ältere Dame in einem sehr flauschigen grünen Wintermantel hielt schon ein Handy in der Hand und wählte eine Nummer.
    »Hallo? Notrufzentrale? Wir brauchen einen Krankenwagen an die Ecke Jernbanegade – Vestergade. Es hat einen Unfall gegeben …«
    Oscar kam wegen Verdachts auf Gehirnerschütterung zur Überwachung ins Krankenhaus. Ich durfte glücklicherweise einfach nach Hause, nachdem ich mir lediglich am Ellenbogen die Haut abgeschürft hatte, an fast genau derselben Stelle, an der ich mir auch die Verletzung zugezogen hatte, als ich mit dem Kater zusammen den Treppenschacht heruntergestürzt war. Ich hatte keine Gehirnerschütterung. Aber das Gefühl, als wäre in meinem Innersten alles erschüttert worden.
    Ich hatte einen Engel gesehen. Und ich war weniger als einen Meter davon entfernt gewesen zu sterben. Hingen die beiden Dinge zusammen? War die Engelsgestalt wirklich gekommen, um mich zu holen, als der Kater sie angegriffen hatte? Und wie hatte sie mich noch gleich genannt? Hexenkind. Und noch irgendwas mit Blut?
    Von außen betrachtet war alles ganz einfach. Ein Junge und ein Mädchen verirren sich auf dem Heimweg nach der Schule im Nebel und geraten auf die Fahrbahn. Ein Lastwagenfahrer bremst, glücklicherweise gerade noch rechtzeitig. Der Junge hat sich den Kopf ein bisschen gestoßen, dem Mädchen fehlt nichts. Ende des Berichts.
    Aber das war ja nur die halbe Wahrheit. Der Engel, der Kater, der Bürgersteig, der sich in Gras verwandelt hatte … von alldem stand nichts im Polizeibericht, denn außer mir hatte offenbar niemand etwas davon gesehen. Nicht mal Oscar. Doch, das Gras. Aber weder den Engel noch den Kater. Wie konnte man etwas nicht sehen, das fast vier Meter hoch war? Ich verstand gar nichts mehr.
    Mama rief Malene an – also Oscars Mutter – und erfuhr, dass das Krankenhaus ihn noch dabehalten würde, es ihm aber gut ging und er sicher in ein paar Tagen wieder nach Hause durfte.
    »Er hat mir das Leben gerettet«, sagte ich. Das klang zwar dramatisch, aber so war es schließlich gewesen. Hätte er mich nicht zur Seite gezogen, hätte der Laster mich erwischt. Und dann hätte der Engel vermutlich meine Seele bekommen, oder was auch immer er von mir haben wollte.
    »Du musst dich wirklich vorsehen«, sagte Mama und fing wieder an, vor lauter Schreck und Sorge mit mir zu schimpfen. »Du weißt doch verflixt noch mal, dass du im Straßenverkehr aufpassen musst!«
    »Mama …«
    »Ja. Entschuldige, Clara-Maus. Ich weiß ja, dass es neblig war. Aber du musst einfach aufpassen!«
    Das hatte sie jetzt schon mindestens zehn Mal gesagt. Ich konnte es wirklich nicht mehr hören. Ich fing an zu schluchzen und versuchte, ein paar Tränen herauszupressen, aber es wollte mir nicht richtig gelingen.
    »Es lag ja nicht daran, dass ich nicht aufgepasst habe! Es war nicht meine Schuld!« Ich konnte nicht mehr ertragen, dass Mama noch weiter mit mir schimpfte. Nicht jetzt. »Alles ist falsch«, schniefte ich. »Mit mir stimmt was nicht, oder? Sie hat mich Hexenkind genannt …«
    Mama stand plötzlich ganz still, noch immer ihr Handy in der Hand.
    »Wer hat das gesagt?«, fragte sie.
    »Sie. Dieser Engel. Aber außer mir hat niemand sie gesehen, nicht mal Oscar. Den Kater auch nicht …«
    Und dann platzte das Ganze aus mir heraus: der Nebeltunnel, das Bordsteingras, die Riesenflügel und die zischende Stimme, der Kampfschrei des Katers und der Geruch von Tang.
    Mama ließ mich erzählen, ohne mich zu unterbrechen. Sie setzte sich neben mich an den Küchentisch und hörte sich alles an, ohne ein Wort zu sagen. Erst als ich beim Krankenwagen angekommen war, der mit Oscar wegfuhr, und den Fahrrädern, die völlig platt und schief gequetscht worden waren, nahm sie mich in den Arm, zog mich an sich und murmelte in meine Haare: »Uns bleibt nichts anderes übrig.«
    »Was?«, fragte ich.
    »Uns

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