Wildhexe 1 - Die Feuerprobe
eiskalten, nackten Zehen da. Es war schlimm genug, dass meine Haare in alle Richtungen abstanden.
»Hallo«, sagte ich.
Tumpes Schwanz klopfte freundlich auf den Boden, dunk-dunk-dunk, aber er war offenbar zu verschlafen und morgenmuffelig, um ausgerechnet jetzt aufzustehen. Isa lächelte, als sie mich sah. Und das Mädchen, das Kahla sein musste, warf mir den finstersten bösen Blick zu, den ich seit Langem gesehen hatte. Genauso gut hätte sie mir den Stinkefinger zeigen können.
»Guten Morgen, Clara. Kahla, das ist meine Nichte Clara. Und Clara, das hier ist Kahlamindra Millaconda, die auch bei mir in die Lehre geht.«
Kahla war nicht besonders groß, aber dafür rund wie ein Schneemann. Nicht etwa weil sie dick gewesen wäre, sondern weil sie in so viele Kleiderschichten eingepackt war, dass man sie hätte über den Boden rollen können. Sogar hier im Haus hatte sie eine Mütze auf, so ein Inka-Teil mit Ohrwärmern und einem kleinen Bommel oben in der Mitte, außerdem trug sie mehrere Schals, dicke Wollpullover, Westen, Filzstiefel, Hosen und jede Menge Wollröcke. In allen Farben des Regenbogens sowie einigen Farben, von denen selbst der Regenbogen noch nie gehört hatte. Pechschwarze Haare ragten unter der Inka-Mütze heraus, und das bisschen Haut, das nicht von drei Schichten bunter Wolle verdeckt wurde, hatte einen warmen zimtbraunen Ton.
»Hallo«, murmelte ich.
»Hallo«, sagte sie.
Und das war alles, was wir einander zu sagen hatten. Sollte Tante Isa an Kahla gedacht haben, als sie davon sprach, dass ich Freunde finden würde, die nicht regelmäßig Mäuseknochen hochwürgen … dann, dachte ich, ja dann würde sie lange warten müssen.
Beim Frühstück herrschte angespanntes Schweigen, und wir beobachteten uns heimlich über den Topf mit der Grütze hinweg. Tante Isas Blick wanderte von einer zur anderen, aber zu meiner Erleichterung versuchte sie nicht, das Eis zu brechen und ein Gespräch in Gang zu bringen. Nachdem wir unsere Teller und den Topf zum Einweichen in die Spüle gestellt hatten, nahm Tante Isa uns mit nach draußen. Es war kalt und novembrig und es nieselte. Wir kletterten hinter ihr den Hügel hinter dem Stall hoch, Kahla, ich und natürlich auch Tumpe, der glücklich wedelte und das Ganze offensichtlich großartig fand. Ich war nicht ganz so begeistert. Die Erde war nass und matschig, und ich rutschte ein paarmal aus. Hinterher hatte ich lehmige braune Matschflecken auf beiden Hosenbeinen. Ich schielte verstohlen zu Kahla. Trotz der vielen Kleiderschichten folgte sie dem Pfad leichtfüßig und geschickt. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass man noch mehr Sachen anziehen konnte, als Kahla sowieso schon angehabt hatte, aber es war ihr tatsächlich gelungen, sich zusätzlich in eine rosa Daunenjacke, einen roten Schal und ein Paar quietschgelbe Handschuhe mit roten Herzchen zu zwängen und ein weiteres gestreiftes Tuch um die Inka-Mütze zu wickeln – und trotzdem konnte sie noch immer laufen. Es grenzte an ein Wunder.
Tante Isa blieb ungefähr auf halber Höhe des Hügels stehen und zeigte auf einen unordentlichen Haufen aus Reisig und halb verrottetem Laub.
»Kann eine von euch mir erzählen, was hier passiert ist?«, fragte sie.
»Ein Hund oder ein Fuchs hat etwas ausgegraben«, sagte Kahla wie aus der Pistole geschossen. Sie beugte sich vor und nahm die Erde genauer unter die Lupe. »Kein Fuchs«, sagte sie dann. »Die Pfoten sind zu groß. Vermutlich hat der Hund die Fährte eines Igels aufgenommen und sein Winterlager zerstört. Dummer Hund.«
Tumpe warf ihr einen bekümmerten Blick zu.
»Nicht du«, sagte sie und tätschelte ihm mit ihrer Handschuhhand den Kopf. »So was machst du doch nicht, nicht wahr?«
Woran konnte sie das alles erkennen? Da war doch nur ein Haufen Reisig und eine Kuhle mit ein wenig trockenem Gras. Wenn ich sehr genau hinsah, konnte ich zwar dort, wo der Hund gebuddelt hatte, ein paar Kratzspuren erkennen – aber wie war sie auf den Rest gekommen?
»Das ist richtig«, sagte Tante Isa. »Gut erkannt, Kahla. Kannst du auch den Igel finden?«
Kahla schloss für einen Moment die Augen. Sie fing an, leise zu summen, eine Melodie, die zwischen zwei Tönen wechselte, einem hohen und einem tiefen. Ich musste daran denken, wie Tante Isa meine Kopfschmerzen weggesungen hatte. Kahla drehte sich langsam auf der Stelle, als wäre sie ein Radarmast, dann zeigte sie plötzlich den Hügel hinunter, rechts neben den Stall.
»Da entlang«, sagte
Weitere Kostenlose Bücher