Wildhexe 2 - Die Botschaft des Falken
abschlecken konnte? Und wieso war die Tür nicht ordentlich zu gewesen – Tante Isa wusste doch schließlich, wie es ging?
Voll banger Vorahnungen trat ich in die Wohnstube.
Eine einsame Öllampe stand auf dem hohen Tisch neben dem Sofa und verströmte ihr gedämpftes Licht. Auch aus dem Ofen drang der schwache rötliche Schein der Glut. Die Decke, unter der Shanaia auf dem Sofa gelegen hatte, lag auf dem Boden, und als ich näher ging, trat ich versehentlich gegen eine heruntergefallene Teetasse. Kater fauchte und sträubte sein Katzenfell, bis er beinahe doppelt so groß aussah wie sonst.
Da entdeckte auch ich das Frettchen. Es lag ganz still, halb aufrecht an der Wand, mit fast geschlossenen Augen und gebleckten Zähnen. Und ich musste es nicht berühren, um zu wissen, dass es tot war.
11 DAS LEERE HAUS
Ich stand nur da und starrte Shanaias totes Frettchen an. Kater ging hin und schnupperte an dem reglosen Körper. Dann stieß er einen gedämpften, unbestimmbaren Katzenlaut aus, ein leises Meeeeowwwwrrrrr. Ich hatte noch nie gehört, dass Kater etwas so Simples und Bilderbuchmäßiges wie Miau sagte.
»Was ist passiert?«, flüsterte ich, aber er gab mir keine Antwort.
Es war vollkommen still im Haus. Im Ofen knisterte es ganz leise, aber sonst war nichts zu hören, keine Stimmen, keine Schritte, nicht mal das Gebälk knackte.
»Tante Isa!«, rief ich so laut, dass ich selbst darüber erschrak. Aber eigentlich wusste ich, dass niemand antworten würde.
Das ist so ungerecht, schimpfte eine winzig kleine gekränkte Stimme in mir. Da hatte ich etwas so Gefährliches und Mutiges gemacht und war ganz alleine – also abgesehen von Kater – über die wilden Wege zu Tante Isas Haus gelaufen, weil Oscar in Gefahr war und ich dachte, dass nur Tante Isa ihm helfen konnte. Und dann war sie einfach nicht da.
Ich wusste ja selbst, dass das kindisch war. Oscar war weg. Hier im Haus war etwas Schreckliches passiert, Tante Isa war weg, Shanaia war weg, und ihr armes kleines Frettchen war tot … Das alles war natürlich viel wichtiger als die Frage, wie ausgerechnet ich mich fühlte. Aber ich hatte mich mehr oder weniger damit getröstet, dass ich es nur bis zu Tante Isa schaffen musste – das allein war schon schwierig genug –, dann würde sie den Rest übernehmen.
O nein. Was, wenn sie gar nicht weg war? Was, wenn sie auch irgendwo lag, genauso tot wie das Frettchen …
Ich hätte nicht gedacht, dass mir noch kälter ums Herz oder ich noch ängstlicher werden konnte. Aber so war es.
Ich drehte den Docht der Öllampe höher und nahm sie mit. Ich lief von Zimmer zu Zimmer – in die Küche, das kleine Bad mit dem fauchenden Gasboiler, die knarrende Treppe hoch unters Dach, wo sich mein eigenes kleines Giebelzimmerchen mit dem runden Fenster befand. Es war niemand da. Weder eine tote oder bewusstlose Tante Isa – zum Glück – noch irgendwelche mystischen Monster oder gefährlichen Feinde, die nur darauf warteten, über mich herzufallen. Das Haus war leer.
Was um alles in der Welt sollte ich tun? Warten? Suchen? Ich hatte keine Ahnung, wo ich anfangen oder aufhören sollte. Und draußen war es stockfinster.
In der Küche fand ich ein altes Tuch, das ich vorsichtig um den kleinen, steifen Frettchenkörper wickelte. Ich legte ihn in eine der Pappschachteln, die Tante Isa für verletzte oder kranke Kleintiere bereithielt, und stellte die Schachtel vor die Hintertür. Falls Shanaia zurückkommt, dachte ich, will sie ihren Wildfreund vielleicht gerne beerdigen. Eigentlich hatte ich das Bedürfnis, die Schachtel zu beschriften. Mit dem Namen, Geburtsdatum, so was in der Art – wie auf einem Grabstein. Aber mir fiel nicht ein, wie das Frettchen hieß. Ich war mir nicht mal mehr sicher, ob es ein Er oder eine Sie war. Bei einem Frettchen ist das nicht so leicht zu sehen.
Ich öffnete die Ofenklappe und warf ein paar Holzscheite ins Feuer, hob die Teetasse auf, faltete die Decke zusammen und legte sie ordentlich aufs Sofa. Es fühlte sich beruhigend an, mich so alltäglichen Dingen zu widmen – anfeuern, aufräumen. Vielleicht würde es sogar helfen, Tee aufzusetzen, dachte ich.
Ich versuchte es. Aber es endete damit, dass ich im Sessel neben dem Sofa saß und die Tasse anstarrte, während der Tee langsam aufhörte zu dampfen und schließlich ganz kalt wurde.
»Kater?«, flüsterte ich und streichelte ihm über den struppigen schwarzen Rücken. »Was soll ich tun?«
Sein Fell sträubte sich noch mehr, er
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