Wildhexe 2 - Die Botschaft des Falken
wie möglich an das Haus zu schleichen, ohne gesehen zu werden, aber nachdem die Sklaventiere Shanaia in weniger als einer Stunde gefangen hatten, würden sie kaum länger brauchen, bis sie mich in den Fängen hatten. Noch dazu war Shanaia hier geboren und aufgewachsen, und sie war, auch wenn sie jung war, eine erwachsene, voll ausgebildete Wildhexe. Meine einzige, kleine, klägliche Hoffnung war, dass Shanaia recht behielt und die Sklaventiere mir aus irgendeinem Grund wirklich nichts tun konnten.
Der vereiste Strand erschien mir plötzlich so offen und ungeschützt. Himmel und Meer, Eis und Sand und weit und breit kein Busch oder Baum. Die einzige Möglichkeit, sich zu verstecken, war der Schilfdschungel aus raschelnden gelben Stängeln, aber dort konnte ich nicht laufen, denn die Eisdecke war nicht dick genug, um mein Gewicht zu tragen, und außerdem hätte ich nicht mehr gesehen, ob ich in die richtige Richtung lief.
Ich ging also den Strand entlang, hielt mich aber immer dicht am Schilfwald. Ob das einen Unterschied machte, wusste ich nicht. Die Möwen konnten mich sicher sowieso sehen, ganz egal, was ich machte. Und was hatte Shanaia über die Wildhunde gesagt?
Ich hatte den Gedanken kaum zu Ende gedacht, als ich, wie erwartet, hinter mir, irgendwo jenseits des Röhrichts, ein hohes Kläffen hörte. Ich blieb unwillkürlich stehen, aber was sollte ich anderes tun, als weiterzugehen? Rennen? Die Hunde waren mit Sicherheit mehr als doppelt so schnell wie ich. Haut ab , flüsterte ich innerlich. Haut ab.
Es raschelte im Schilf. Und plötzlich rannte ich doch, obwohl ich eigentlich beschlossen hatte, es nicht zu tun. Meine Gummistiefel waren schwer und plump, und das Eis, das entweder spiegelglatt war oder unter mir brach, machte es wirklich nicht einfacher. Ich drohte jeden Moment hinzufallen.
Jip-jip, jip-jip. Ein scharfes Kläffen – und schon viel näher. Nicht mehr nur direkt hinter mir, sondern auch rechts im Schilf. Sie umzingelten mich, und ich konnte mich nicht befreien . Das hatte Shanaia gesagt, und jetzt passierte mir dasselbe. Ich wandte mich scharf nach links, lief auf das Wasser zu, dort war es leichter zu rennen. Schon möglich, dass sie mich so auch besser sehen konnten – aber ich wollte sie auch sehen.
Die eisige Luft brannte in meinen Lungen. Ich war im Sport zwar nicht die Schlechteste, aber ganz sicher auch nicht die Beste, und der jährliche Schul-Dauerlauf war für mich immer eine Herausforderung. Wenn ich das hier lebend überstehe, dachte ich, dann fange ich mit Lauftraining an und ernähre mich gesund. Ich schwöre! Die Stiefel schlackerten mir um die Waden, und meine Beine fühlten sich schwer, kalt und steif an.
Jip-jip-jip!
Dieses Mal kam das Bellen aus dem dichten Röhricht vor mir, und im selben Augenblick brachen vier, fünf fuchsähnliche Tiere aus dem Schilf und rannten auf den Strand.
Ich blieb stehen. Mein Atem pfiff, und das T-Shirt unter meinem Pulli und der Daunenjacke war so durchgeschwitzt, dass es mir am Rücken und unter den Armen klebte. Besonders groß sind die nicht, dachte ich. Sogar kleiner als Füchse. Gelbbraun, mit dunklen Flecken an den Flanken, dunklen Rändern an den spitzen dreieckigen Ohren und mit einer dunklen Maske um die Augen. Beinahe niedlich. Für einen kurzen Moment kam ich mir ein bisschen dumm vor, weil ich versucht hatte, vor ihnen wegzulaufen. Aber das war, bevor ich den roten Schimmer sah. Er war nicht blutrot wie bei den Möwen, aber er war trotzdem da, ein glutroter Glanz in den dunklen Augen.
Die ersten fünf Wildhunde bildeten nur die Vorhut. Hinter mir und aus dem Schilf liefen noch mindestens zwanzig weitere Hunde an den Strand, die Köpfe gesenkt und auf seltsam steifen Beinen. Sie kamen langsam näher, Schritt für Schritt. Sie hatten keinen Grund mehr, sich zu beeilen, ich konnte nirgendwo hin. Sie hatten mich genauso leicht umzingelt wie Shanaia.
»Kater«, flüsterte ich. »Kater, bist du da? Hilf mir!«
Erinnere .
Das war alles. Mehr Hilfe bekam ich nicht.
Die Hunde kamen immer näher, bis sie schließlich einen Ring gebildet hatten. Und ich stand in der Mitte. Dann stieß einer von ihnen ein letztes, scharfes »Jip!« aus, es war eine ältere Hündin mit grauen Flecken auf der Schnauze und einem zerfetzten Ohr. Das ganze Rudel machte einen Satz nach vorne.
Die Hündin mit dem Fetzenohr traf mich wie eine haarige Kanonenkugel direkt unterhalb des Brustkorbs. Andere schlossen ihre Zähne um meine Waden, um einen Arm,
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