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Wildhexe 2 - Die Botschaft des Falken

Wildhexe 2 - Die Botschaft des Falken

Titel: Wildhexe 2 - Die Botschaft des Falken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lene Kaaberbol
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spannte den Körper und machte sich steif. Ich spürte, wie sich seine Krallen in meinen Oberschenkel bohrten.
    Erin nere . Er keuchte vor Anstrengung. Erin nere .
    »Viridian?«
    Seine Anspannung löste sich, und er rollte sich auf den Rücken, damit ich ihm den Bauch kraulen konnte. Ja. Erin nere .
    »Aber ich weiß doch gar nicht, was damit gemeint ist.«
    Er versetzte mir einen Hieb mit der Pfote – ohne Krallen, aber ziemlich fest, so wie eine Katzenmutter, die ihr Junges zurechtweist. Offensichtlich fand er mich ziemlich begriffsstutzig. Dann schoss seine Pfote plötzlich vor, und er jagte mir eine Kralle in den Daumen – nur ein winzig kleiner Kratzer, aber genug, dass ein einzelner rubinroter Blutstropfen aus meiner Haut quoll.
    »Kater!« Ich versuchte, ihn von meinem Schoß zu schubsen, aber er ließ sich nicht wegschieben. Ich nahm den Daumen in den Mund und saugte den Blutstropfen weg. In dem Augenblick, in dem sich der salzige, eisenähnliche Geschmack in meinem Mund ausbreitete, hörte ich wieder Katers Stimme in meinem Kopf: Erin nere .
    »Blut«, sagte ich unwillkürlich. »Viridians Blut.«
    Er schnurrte. Endlich.
    »Aber was bedeutet das?«, sagte ich. »Ich weiß immer noch nicht, was das bedeutet. Warum kannst du es mir nicht einfach sagen?«
    Mich überkam das starke Gefühl, dass er sich, wäre er ein Mensch gewesen, in diesem Moment an den Kopf gefasst und irgendwo dagegengetreten hätte.
    So saß ich da und verbrachte mehrere Stunden mit Warten. Bis es vor den Fenstern grau wurde, weil es draußen dämmerte. Aber Tante Isa und Shanaia kamen nicht zurück, und ich wurde auch nicht klüger aus den vielen Gedanken, die ich mir zwischenzeitlich gemacht hatte.
    Als es so hell geworden war, dass ich auf den Hügel hinter dem Stall klettern konnte, ohne über jeden kleinen Zweig auf dem Boden zu stolpern, ging ich raus, um Mama anzurufen. Sie war mit Sicherheit schon völlig außer sich – trotz der Nachricht, die ich ihr hinterlassen hatte.
    Sobald das Display anzeigte, dass es ein bisschen Netz gab, trudelten zwei SMS ein. Die eine war natürlich von meiner Mutter. »Wo bist du? Ruf an!«
    Die andere war von Tante Isa.
    VESTMARK stand da in großen Buchstaben. Sonst nichts. Kein »Komm« oder »Hilfe« oder »Nimm dich vor Chimära in Acht!«. Nur das eine Wort. Also musste ich selbst herausfinden, was das bedeuten sollte.
    Ich dachte an das Bild, das Shanaia mir gezeigt hatte. An den langen Strand mit dem Steilhang, das seidenglatte Meer, das Haus am Ende der Welt, die schwebenden Möwen im Wind. Eine seltsame Gewissheit überkam mich. Dort waren sie jetzt. Oscar, Shanaia und Tante Isa. Und Tumpe. Dorthin musste ich, wenn ich sie finden wollte.
    Aber … dort wartete auch Chimära.

12  DIE WILDHUNDE

    Die Geräusche des Meeres waren das Erste, was die kalte Stille der wilden Wege durchbrach. Das sanfte Schwappen der Wellen und das Rufen einer einzelnen Möwe, einmal lang, viermal kurz: uuuurrr – urr urr urr urr. Dann knackte es, weil spröde Eisplatten unter meinen Füßen zerbrachen. Rechts von mir türmte sich ein dunkler Steilhang auf, an dessen Fuß ein von Raureif überzogener gelber Schilfwald aus dem Eis ragte. Links von mir rollten flüsternde Wellen unter einer dünnen, ölartigen Haut aus Eis langsam und flach auf den Strand.
    Ich war da. Ich erkannte den Ort von Shanaias Bild. Irgendwo ein Stück den Strand hinunter musste sich das Haus verstecken, auch wenn ich es von hier aus noch nicht sehen konnte.
    Kater hatte mich durch die Nebel der wilden Wege geführt, nie weiter weg als ein oder zwei Meter vor mir. Jetzt konnte ich ihn nicht mehr sehen, aber ich hatte trotzdem das Gefühl, dass er ganz in der Nähe blieb.
    Ich war da. Ich war wirklich da. Ich stand hier am Strand von Vestmark, obwohl ich niemals gedacht hätte, dass ich mich das trauen würde. Eigentlich traute ich mich immer noch nicht. Und ich bildete mir auch nicht ein, gegen Chimära etwas ausrichten zu können. Ich fühlte mich nicht die Spur stärker oder mutiger als vorher. Aber der Gedanke, in die Merkurgade zurückzukehren und so zu tun, als wäre nichts passiert, während alle nach Oscar suchten und ihn nie finden würden, weil sie am falschen Ort suchten … das war ganz einfach unmöglich. Noch unmöglicher, als, von Kater mal abgesehen, ganz alleine hier zu stehen und darauf zu warten, von Chimära entdeckt zu werden.
    Ich hatte keinen besonders schlauen Plan. Ich konnte natürlich versuchen, mich so nah

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