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Wildhexe 2 - Die Botschaft des Falken

Wildhexe 2 - Die Botschaft des Falken

Titel: Wildhexe 2 - Die Botschaft des Falken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lene Kaaberbol
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aus ihnen gemacht. Tante Isa hatte recht. Es war abscheulich.
    Ich hörte sie, bevor ich sie sah. Ein Rauschen, als würden tausend Vögel gleichzeitig auffliegen. Aber es waren nicht tausend Vögel, es war nur einer. Ein riesengroßer Nicht-Vogel am Himmel, mit einer Flügelspanne, die die Sonne verdeckte.
    Chimära.
    Ich fing wieder an zu kämpfen. Ich konnte nicht anders, obwohl ich nicht daran glaubte, dass es helfen würde. Und obwohl es Fetzenohr natürlich nur dazu verleitete, ihre Zähne wieder fest um meine Kehle zu schließen.
    »Kater! Kater !«
    Erinnere.
    Das war die einzige Antwort, die er mir gegeben hatte, die einzige Hilfe. Ich hatte keinen Schimmer, was ich damit anfangen sollte. Ich unternahm eine letzte Kraftanstrengung, eine kräftige Drehung mit dem ganzen Körper, tatsächlich so kräftig, dass Fetzenohrs Zähne abrutschten und durch meine Haut drangen.
    Mein Blut gelangte in ihr Maul.
    Ich konnte es auf seltsame Weise spüren, als wäre das Blut noch immer ein Teil von mir, obwohl es meinen Körper verlassen hatte und eigentlich nicht mehr als ein paar Tropfen roter Flüssigkeit war.
    Ich will nicht behaupten, dass ich plötzlich alles verstanden hätte. Ganz und gar nicht, wirklich. Aber irgendwo in mir drinnen regte sich etwas, ein Instinkt, ein Traum, ein … ein Gefühl, etwas zu wissen, das ich nur vergessen hatte.
    »Viridian«, sagte ich. »Viridians Blut.«
    Auf der Stelle ließ Fetzenohr von mir ab. Ich konnte es in ihren Augen sehen, ich spürte es, fast so, als wäre sie ein Teil von mir geworden. Der Blutschimmer in ihren Augen verschwand. Sie war wieder ein Hund. Sie war frei.
    Explosionsartig fiel sie über die anderen Hunde her, eine brummende, kläffende, knurrende Hundebombe. Schlagartig war die beängstigende Stille gebrochen, das Hunderudel war kein Roboterrudel mehr, sondern ein großer, wogender Hundekampf und ich mittendrin. Es wurde gnadenlos gebissen und gerissen, Blut und Fellfetzen flogen in alle Richtungen, Krallen kratzten, Zähne schlitzten auf. Ich rollte mich zusammen, versuchte, wegzukrabbeln und gleichzeitig vor allem mein Gesicht und meinen Kopf zu schützen.
    Und dann war der Kampf mit einem Mal vorbei. Laut winselnd verschwand ein Großteil des Rudels im Schilf, und nur die, die am schwersten verletzt waren, blieben zurück. Es waren drei. Der eine humpelte, so gut es ging, auf drei Beinen dem Rudel hinterher – das linke Vorderbein sah aus, als wäre es gebrochen. Ein anderer schien fast tot, nur ein paar zitternde Krämpfe ließen Flanken und Hinterbeine noch zucken.
    Der letzte Hund war Fetzenohr. Sie lag auf der Seite und schnappte mit halb geöffnetem Maul nach Luft. Sie hatte so viele Wunden und Verletzungen, dass ich unmöglich erkennen konnte, welche davon die schlimmste war. Blut hatte ihr geflecktes goldbraunes Fell fast überall dunkelrot gefärbt.
    Hätte ich sie retten können, ich hätte es getan.
    Noch vor ein paar Minuten hatte sie meinen Hals in einem tödlichen Griff gehabt, ungefähr so wie ein Mensch, der einem anderen das Messer an die Kehle hält. Aber sie hatte das nicht aus freiem Willen getan. Auf irgendeine seltsame Weise war ich seit dem Moment mit ihr verbunden, in dem mein Blut in ihr Maul gelangt war, und sie hatte sofort reagiert. Sie hatte sich mit allem, was sie aufbieten konnte, auf die Sklaventiere im Rudel gestürzt, sie hatte gekämpft, bis sie nicht mehr konnte, und sie hatte gewonnen. Ihr Rudel war frei.
    Ihre Augen waren nicht mehr so klar, wie sie gewesen waren. Ich wusste, dass sie sterben würde, ich konnte es spüren. Aber ich wusste auch, dass sie dankbar war. Sie wollte lieber als Hund sterben, als als Sklaventier leben. Und sie hatte ihr Rudel befreit.
    Ich legte meine Hand auf ihren Hals, aber ich wusste selbst, dass es nichts half. Ich konnte das Blut aus den vielen Wunden nicht stoppen. Ihre Flanken zitterten, dann war es vorbei. Sie war tot.
    Ein paar Sekunden kniete ich neben ihr. Dann schaute ich hoch und rappelte mich unbeholfen auf, um wenigstens zu stehen, wenn Chimära kam.
    Sie kam nur nicht.
    Ich drehte mich hektisch um und suchte den Himmel ab, aber es war nichts mehr zu sehen. Keine Möwe und schon gar kein gewaltiger Menschenvogel.
    Sie war weg.
    Eine wahnsinnige Wut packte mich. Auf das, was sie mir angetan hatte, aber noch viel mehr auf das, was sie Fetzenohr und ihrem Rudel angetan hatte. Für einen kurzen Augenblick vergaß ich, dass ich eigentlich kleiner und schwächer war als sie und Angst

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