Wildhexe 2 - Die Botschaft des Falken
sagte sie. »Das sieht eigentlich nicht sehr spannend aus. Das ist es bestimmt nicht.« Sie warf es in die Flammen des Kaminfeuers, die sich erst im Luftzug duckten und dann wieder nach oben schossen, höher als vorher. Isa nahm noch ein Buch.
»Aber das hier vielleicht? Ja? Nein? Weiß nicht?« Sie machte es wie mit dem ersten – blätterte darin, warf es dann in die Flammen und griff nach dem dritten.
»Warte!«, quäkte Nichts mit Chimäras Stimme. »Warte …«
»Wie sieht es aus?«, fragte Tante Isa. »Ist es grün – so wie dieses hier?« Sie warf noch ein Buch ins Feuer.
Ich starrte Isa mit offenem Mund an. Was machte sie denn da?! War ihr nicht klar, dass Chimära die Einzige war, die uns aus dieser Falle hier befreien konnte? Hielt sie es wirklich für klug, Chimära noch wütender zu machen, als sie ohnehin schon war?
»Oder rot?«
»Braun«, sagte Nichts, und dieses Mal klang sie mehr wie sie selbst. »Es ist braun, mit einer Art Rad auf dem Rücken und auf der Vorderseite …« Sie zeigte mit dem Flügel. »Es steht da irgendwo im Regal.«
Oscar sprang auf und fing auf der Stelle an, alle braunen Bücher aus den Regalen zu zerren, um nachzusehen, ob ein Rad drauf war. War das nicht der Fall, landete das Buch mit einem Knall auf dem Boden. Im Laufe von 15, 20 Sekunden lagen beinahe ebenso viele verworfene Bücher vor seinen Füßen, aber er machte weiter, bis kein braunes Buch mehr im Regal stand.
»Es ist nicht da«, sagte er schließlich. »Hier sind Vogelbücher, Pilzbücher, Märchenbücher und Sternbildbücher, aber nichts mit einem Rad, weder auf dem Rücken noch auf der Vorderseite.«
»Lass das Hexenkind nachsehen«, sagte Chimäras Stimme gereizt. »Wenn sie es nicht finden kann, seid ihr doch alle zusammen genauso nutzlos wie dieser Federklumpen hier.«
»Warum ist dieses Buch so wichtig?«, fragt Tante Isa, etwas gedämpfter, jetzt, wo Chimära angefangen hatte zuzuhören und zu antworten.
»Das geht dich nichts an, Isa. Es ist wichtig, weil es euch das Leben retten kann, wenn ihr es findet und mir vorlest. Darum.«
Ich war neben dem unordentlichen Bücherhaufen in die Hocke gegangen. Oscar hatte recht. Vogelbücher, Pilzbücher …
Nein. Moment. War da nicht …
Doch. Ein braunes Buch, mit einem Zeichen, das man mit ein bisschen gutem Willen als Rad erkennen konnte – ein Kreis mit einer Art Kreuz in der Mitte.
»Ist es das hier?«, fragte ich und hielt es hoch.
»Was steht drinnen?«, fragte Chimära.
Ich schlug es auf und wollte gerade anfangen zu lesen, aber Tante Isa bremste mich.
»Warte. Ich bin ganz und gar nicht davon überzeugt, dass wir Chimära erzählen sollten, was hier steht.«
»Willst du lieber sterben, Isa? Oder möchtest du deinen drei kleinen Lehrlingen beim Sterben zusehen? Es dauert nur eine halbe Stunde, dann ist von ihnen nichts mehr übrig, als ein paar Fleischfetzen an den Knochen. Möchtest du gerne die Knochen des Hexenkinds sehen? Ich kann die Schwestern bitten, mit dir zu warten, damit du nichts verpasst.«
Es war so merkwürdig, solche Worte aus dem Mund eines ungeschickten, niesenden kleinen Federwedels wie Nichts zu hören. Im Gegensatz zu ihren Schwestern im Treppenhaus war es eigentlich schwierig, sich vor ihr zu fürchten. Also hätte ja auch das, was sie sagte, weniger beängstigend wirken müssen, aber so war es nicht. Im Gegenteil. Gänsehaut kroch mir über den Rücken.
Ich stand da, das Buch in den Händen. Es war kein großes, bibelartiges Ding, eher eine Art Notizbuch, eingebunden in rissiges, altes Leder. Alt. Richtig alt. Das konnte man irgendwie spüren.
»Wenn ich lesen soll …«, setzte ich an, aber Tante Isa stoppte mich mit einer Handbewegung.
»Wieso sollten wir dir trauen?«, sagte sie zu Chimära. »Du bist geächtet. Ehrlos. Und du hast uns schon früher betrogen. Woher sollen wir wissen, dass du dieses Mal Wort hältst? Wenn ich sowieso sterben muss, übergebe ich das Buch lieber erst den Flammen und weiß dann zumindest, dass du nicht bekommen hast, was du wolltest.«
»Du bist so zimperlich, Isa«, sagte Chimära. »Immer so fleißig und gründlich, immer so rechtschaffen. Sehnst du dich nie nach mehr? Bist du wirklich zufrieden damit, in einer baufälligen Bruchbude mitten im Nirgendwo zu leben und deine Zeit drauf zu verwenden, verlauste Igel und verkrüppelte Spatzen zu reparieren?«
»Ja«, sagte Tante Isa nur. »Ich habe alles, was ich brauche.«
»So wenig«, schnarrte Chimära. »So wenig ist genug für
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