Wildnis
vergangen, seit ihn Greg überfallen hatte? Unmöglich zu schätzen, es mochte eine halbe Stunde oder – eine kuriose Färbung zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Als würde er durch einen grünen Schleier sehen, der den Eindrücken ihre Schärfe nahm. Das lag bestimmt an dem Pilz! Er musste einen klaren Sinn behalten. Dabei war es hübsch, alles so anders wahrzunehmen. Er drang hinter die Oberfläche der Dinge und erkannte ihre wahre Natur: grüne Tupfer. Selbst Greg war nicht gefährlich, nur dahingetupft, und er vibrierte im Einklang mit den anderen Dingwesen. Jan hätte weinen können vor Glück. Endlich war er Teil des großen Geheimnisses: Alles gehörte zusammen, die schwingenden Holzbalken an der Wand, der rote Lippenstift auf dem Nachtkästchen und er selbst. Der Lippenstift war rot und das Zentrum des grünen Universums. All die wabernden Tupfer flossen zu ihm hin. Oder gingen von ihm aus. Aber das war das Gleiche.
Greg lächelte zufrieden und verließ das Zimmer. Seine Aura folgte ihm, wie ein Kaugummi oder ein bewegtes Objekt auf einem unterbelichteten Foto. Warum ließ Greg ihn allein? Wo ging er hin?
Zu Anna! Greg hatte ihn gefesselt und würde jetzt über Anna herfallen. Jan warf sich zur Seite, rutschte aus dem Bett, trat einen Stuhl um und kickte ihn gegen die Wand. Sein Blick fiel auf das Nachtkästchen. Er riss mit einem Fuß daran, das Kästchen kippte um. Der rote Lippenstift rollte über den Boden und alles drehte sich.
„Lass mich los!“, schrie Anna.
Greg schleifte sie polternd durch den Flur. Er schien einige Mühe zu haben, sie durch die Absperrung auf der Treppe zu bugsieren. Etwas klirrte im Salon, die Geräusche stiegen durch den Boden wie Champagnerblasen. Jan musste lachen.
Greg kam aus der Wand und nahm ihn in den Arm. Sie fluteten durch einen Kanal auf ein riesiges Maul zu. Jan versuchte sich festzuhalten, doch die Strömung war zu stark. Auf der anderen Seite öffnete sich der Magen des Tieres wie eine festliche Halle. Jan nahm auf einem Thron Platz.
Am Tisch war eine wütende Bestie angebunden, die fürchterlich am Tischbein riss. Mutig ging Greg zu ihr, zückte ein schillerndes Messer, setzte es der Bestie an den Hals und schnitt ihr Fell in der Mitte durch. Das Fell schmolz in den Boden und legte ein wunderschönes Wesen frei.
Greg legte sie auf den Tisch. Sie wand sich wie eine Nixe. Er trennte ihre silbrigen Flossen und band je eine an eine Ecke des Tisches. Die Nixe lag wie ein X ausgestreckt. Kleine, fluoreszierende Seepferdchen glitten aus ihrem Mund hinaus in den Saal.
Greg wuchs eine Wolfsschnauze. Er tauchte seine Tatzen in einen Topf und rührte darin, bellte und öffnete einen Kanister. Ein widerlicher Geruch drang in Jans Nase und eine Priesterstimme intonierte: „Sanctus Spiritus!“ Der Wolf schüttete davon in den Topf, rührte nochmals und bemalte die Nixe mit Schlamm. Die Nixe bebte und ebenso die fliegenden Seepferdchen. Der Wolf fletschte die Zähne und brüllte vor Hass. Es war ein böser Wolf. Er würde die ganze Welt verschlingen, mit all ihren farbenfrohen Wundern. Ein Licht glomm in seiner Tatze auf und er entzündete tanzende Flammen rund um den Tisch. Sie sangen in hellen Stimmen und Jan fühlte, wie sich sein Körper auflöste, um ganz Ton zu werden.
Plötzlich bebte die Erde. Der Wolf richtete sich auf und griff nach einer Kerze. Zu schnell – sie erlosch in seiner Tatze. Er packte die Nächste. Jan folgte der Flamme, die auf ihrer Reise ohne Zeit wie ein Komet durch die Endlosigkeit schoss, um in der reinen Schönheit aufzugehen. Doch ein anderer Komet bahnte sich donnernd seinen Weg durch den Gesang, und noch ehe sich die Flamme auf die Nixe niedersenken konnte, wurde der Wolf zurückgeschleudert.
In gleißendem Licht drangen Gestalten in den Saal. Ihre schwarzen Diener eilten ihnen voraus. Noch einmal donnerte es, dann löschten die Wesen alle Kerzen, hüllten die Nixe in ein Tuch und schwebten mit ihr davon.
Die Endzeit! Alles würde immer wilder ineinander ranken und bald in Fraktale zersplittern, wie es an den Rändern bereits geschah. Die ganze Welt würde in einem infernalischen Kaleidoskop zerstauben!
Stattdessen stürzte sich ein Riese auf Jan und riss ihn an den Händen und im Gesicht. Seine Berührung schmerzte wie Feuer. Als der Riese an seiner Zunge zerrte, biss Jan zu. Eine Mumie tauchte neben dem schreienden Riesen auf und sagte: „Lass den Knebel drin, er wird ihn schon selbst ausspucken.“
Sie nahmen ihn links und
Weitere Kostenlose Bücher