Wildnis
unserer Suche mit Logann, dem Indianer, zurück. Aus dem Haus schlugen uns Schreie entgegen, wir rannten los. Logann trat die Tür auf, Jenny warf sich noch vor ihm in den Salon und feuerte sofort. Der Schuss traf Greg in die Schulter und schleuderte ihn zurück, die Kerze in seiner Hand fiel auf die Tischkante und von dort zu Boden. Das rettete Anna. Wäre die Kerze zu ihr gerollt ...“
Michael beobachtete ihn. Jan nickte, dass er fortfahren solle.
„Greg hatte sie nackt auf den Tisch gebunden und mit benzingetränktem Schlamm eingestrichen. Wenn wir ihr Gestammel richtig verstanden haben, hat die Folter seinen Geist derart verwirrt, dass er sich für einen Indianerkönig hielt. Logann erklärte uns später, dass Chix, der indianische Name ihres Tales, Ocker bedeutete, womit sich früher die Krieger bemalten. Das muss Greg auf die Idee gebracht haben.“
„Ist Anna verletzt?“
„Nein.“
„Wie kommt Jenny damit zurecht?“ Etwas stimmte nicht mit seiner Frage. Michael sah ihn hilflos an. War nicht ein zweiter Donnerschlag dem ersten gefolgt? „Sie hat noch mal geschossen?“
Michael nickte. „Als ich ihn am Boden liegen sah, war ich einverstanden. Gleich danach kam das Entsetzen über ihre Tat. Aber das war das Zivilisationsgewissen.“
Was mochte Jenny gefühlt haben? Jan traute ihr zu, dass ihre Gedanken in den entscheidenden Sekunden nicht Gregs Mordversuch gegolten hatten, sondern ihrer eigenen Scham. Sie hatte sich gegen den Preis entschieden, den Greg ihr versprochen hatte, und für ihre Würde.
„Jenny hat das Gewehr an die Wand gelehnt und ist zu Bett gegangen. Wir haben auch Anna zu Bett gebracht. Während der Nacht ist sie immer wieder schreiend aufgefahren, bis ihr Logann Schlafmittel aus dem Medizinkasten verabreicht hat. Und mir hat er meine Bisswunde verbunden.“
Jan schaute schuldbewusst auf den mullumwickelten Finger und wollte zum ersten Mal seinen diffusen Erinnerungen nicht auf den Grund gehen.
Logann trat ein, der Gang kraftvoll, der Blick zuversichtlich, die schimmernden Haare fest zusammengebunden. Jenny folgte ihm, angespannt, kurzangebunden, doch nicht verstört, wie Jan erwartet hätte. Michael versicherte sich, ob er sie wirklich nicht begleiten solle, doch Logann hielt es für notwendig, dass jemand auf die drei Angeschlagenen aufpasste. Sie zogen mit beiden Gewehren los, da es unwahrscheinlich war, dass der Mörder so schnell zum Haus zurückkäme. Er hatte ein Opfer.
Jan übernahm die Obhut der schlafenden Anna und zugleich die Wache an ihrem Fenster. Die Wiese lag friedlich in der Sonne. Lichtdurchflutet, blumenbespickt, dabei mochten die Bienen und Hummeln dort um Gregs Leichnam summen! Von Jenny hingerichtet, ehe er Anna in den Feuertod schicken konnte. Es war so widersinnig! Eben hatten sie noch gebüffelt, die Noten empfangen, gefeiert – ganz normale Abiturienten, höchstens zu kleinen Gemeinheiten fähig. Nun hatten sie die Wildnis in sich entdeckt. Der große Wandel? Wie anders hatte er sich das vorgestellt!
Gedankenverloren saß er am Fenster, als Anna jäh zu lachen begann. Er stürzte zu ihr. Sie wollte etwas sagen, da ging ihr Lachen in Weinen über. Er legte sich neben sie und streichelte sie vorsichtig, sie drückte sich an ihn und heulte hemmungslos.
Irgendwann wurde es besser und sie nahm eines der Taschentücher, unter denen sie wohl vor einigen Nächten das Messer versteckt hatte. Ein schwaches Lächeln spielte um ihre Mundwinkel und Augen. „Mensch, dass ich dir so schnell verzeihen kann ...“
„Habe ich dich etwa auch gebissen?“
„Du hast Greg gebissen?“
„Nein, dummerweise Michael, als er mir den Knebel rausnehmen wollte. Was musst du mir verzeihen?“
„Na, wie fändest du das denn, wenn dir einer die Klamotten vom Leib schneiden würde und dich splitternackt auf einen Tisch fesselte, und ich säße nebendran und würde grinsen ... wie ein Konfirmand, wenn der Priester den Weihrauch mit Cannabis verwechselt hat.“
„Ich verspreche dir, ich erinnere mich an nichts.“
Er stützte sich auf den Ellenbogen. „Hat Greg seine Wahngeschichte geglaubt?“
„Nein. Er hat zwar immer wieder etwas von Athabasca gerufen, aber das war nur Show für dich, falls du etwas mitbekommst und dich später entsinnen kannst. Du solltest Zeuge seines Wahnsinns sein. Und ...“
Jan wartete.
„Du solltest ... mich anzünden.“
Ihm wurde schwarz vor Augen und er presste sie an sich. In seinem entrückten Zustand ... Er hätte es getan und sich
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