Wildnis: Thriller - Band 2 der Trilogie
entästet und rasch aufeinandergestapelt, um ein Heim für diesen Winter zu haben. Doch das ausgeblichene Holz hatte sich in der Mitte abgesenkt, das verwitterte Elchgeweih am First mochte seit Generationen auf den Wechsel der Jahreszeiten hinabblicken und das rostige Hufeisen über der Tür seit ebenso langer Zeit den Besuchern Glück verheißen.
Vertrauensvoll, dachte Jan, so lag die Hütte da. Vielleicht, weil sie sich so sorglos mit dem Rauch verriet, der aus dem eisernen Schornsteinrohr stieg, vielleicht, weil sie nur durch zwei Fenster zur Seite blickte, sich nach vorne aber darauf verließ, dass nur wohlmeinende Menschen an ihre Tür träten. Der Schnee war dort zertrampelt. Ein Pfad führte zu einem zugeschneiten Bachbett, an dem ein Loch gegraben war, das der Wasserversorgung dienen musste. Ansonsten war kein Schnee geschippt worden und die weiße Flut reichte bis an die Fenster.
Jan fuhr den Hang hinunter, schwang sich vom Sitz, zog die Maske aus und klopfte an. Nachdem er heftiger gepocht hatte, öffnete sich die Tür einen Spalt und gab den Blick frei auf das verwitterte Gesicht einer Alten. Jan atmete ein und wollte um Einlass bitten, doch die Alte rief mit spröder Stimme: „Na komm schon!“, und zog ihn mit einer knorrigen Hand hinein.
Einen Moment mussten sich Jans Augen an das Halbdunkel gewöhnen, die Lungen an die abgestandene Wärme, die Nase an die leicht ranzige Süße gemischt mit einem würzigen Bratengeruch. Dann erst nahm er seine Gastgeberin richtig wahr. Ihr weißes Haar war zu einem Pferdeschwanz gebunden, die Haut spannte an den Wangenknochen und hing am Kinn, die blauen Augen schienen in die Ferne zu blicken.
„ Ich mag Gäste, die es ruhig angehen lassen“, sagte die Alte. „Mit denen hat man sich am meisten zu sagen.“ Sie räusperte sich und schlurfte in den hinteren Teil des Zimmers, in dem Herd, Spüle und Vorratsregale standen. Links befand sich ein Esstisch, rechts ein Lehnstuhl, dahinter ein Bett, auf dem mehrere Felle lagen.
Die Alte trank und drehte sich wieder zu ihm um. „Zwei Liter am Tag. Selbst an das Trinken muss man sich erinnern. Das ist das Läppischste von allem!“ Ihre Stimme klang nun besser. „Tee oder Kaffee?“
„ Tee. Nein, ich habe keine Zeit!“
„ Schade. Willst du zumindest deine Sachen ablegen und dich setzen?“
„ Nein, ich muss weiter. Ich wollte nur fragen, wie ich zur Straße gelange.“
„ Du fährst einfach immer den Bach entlang.“ Die Alte kam zu ihm. „Ich würde dich gerne begleiten, aber ich soll nicht mehr Motorschlitten fahren. Meine Kinder fürchten, dass ich falle und keine Hilfe rufen kann. Dabei fährt sich das leichter als ein Dreirad ... Willst du sicher nicht zum Essen bleiben? Ich habe ein Stück Elchrücken im Ofen, und wenn ich jetzt den Reis aufsetze, ist in einer Viertelstunde alles fertig.“
Er musste weiter, seine Verfolger konnten jeden Moment die Tür aufstoßen, ihn davonschleppen, sie beseitigen. Andererseits hatte er keine Ahnung, wie viele Stunden er noch fliehen würde, bevor er etwas zu essen bekäme. Vielleicht müsste er sogar in einem Schneeloch übernachten.
„ Es klingt verrückt“, sagte Jan, „aber ich bin auf der Flucht vor einigen Kriminellen. Ich muss weiter und brauche schnell Verpflegung. Außerdem brauche ich eine Waffe. Ich kann dir nicht beweisen, dass ich die Wahrheit sage ... Hörst du Nachrichten? Haben sie etwas über einen Anschlag auf das FBI in der Pogo-Mine gebracht?“
Die Alte legte den Kopf schief und blickte interessiert. „Sie haben diesen verrückten Frauenmörder verfolgt. Er ist in die Mine geflüchtet und hat dort zwei FBI-Beamte umgebracht, und drei Polizisten, und dann ist er mit seinen Helfern in einem Hubschrauber entkommen.“
Jan erinnerte sich, wie unzufrieden die fünf Polizisten gewesen waren, die in die Mine mussten. Die drei, die das vermeintlich glücklichere Los gezogen hatten, waren nun tot.
„ Und den Einsatzleiter“, fügte die Alte triumphierend hinzu, dass sie sich auch daran erinnerte, „den haben sie zusammen mit zwei jungen Leuten verschleppt. Ich höre jeden Morgen die Nachrichten.“
„ Ich war mit dem FBI in der Mine!“
„ Ein Freund meines Mannes hat auch dort gearbeitet, in den 80ern. Was? Du warst jetzt in der Mine? Dann ... bist du der Junge, der mit dem hübschen Mädchen entführt wurde?“ Sie ging zum Tisch, stützte sich ab und tastete, bis sie ihre Brille fand. „Früher hatte ich eine mit einem dicken Gestell.
Weitere Kostenlose Bücher