Wildrosengeheimnisse
habe. Ihr langes rotes Haar ist kunstvoll aufgesteckt, was ihren langen Hals noch schwanenhafter aussehen lässt. Die Veränderung ist nicht auf den ersten Blick zu erkennen. Ihre Figur ist dünn wie eh und je, beinahe kommt sie mir noch magerer vor als sonst, aber das kann auch an dem langen Kleid liegen. Es ist vielmehr ein inneres Leuchten, das alles andere überstrahlt, so dass jeder zu ihr herübersehen muss. Das Unglaublichste aber ist ihr Lächeln, welches jegliche Traurigkeit aus ihrem Gesicht verbannt zu haben scheint.
»Sag mal, Nini«, frage ich, als ich bemerke, dass auch sie ihre Freundin erstaunt betrachtet. »Wer ist eigentlich dieser Mann in dem Cabrio, mit dem Franziska gerade gekommen ist?«
»Hmmmm, sieht aus wie der Achim Klein. Ich wusste gar nicht, dass die beiden zusammen sind.«
»Achim wer?« Sollte ich den etwa kennen?
»Achim Klein. Der Chef der ›AK Stores‹«, erklärt Nini.
»Ach der«, antwortete ich, obwohl ich keine Ahnung habe, von wem sie spricht.
»›AK Stores‹, Mami. Das sind die Läden hier am See, die die angesagten Jeans Labels wie Seven, Diesel, Armani, Rock&Republic, J Crew und so weiter verkaufen. Es gibt in Überlingen einen, in Konstanz, in Friedrichshafen, in Singen und vermutlich in noch mehr Städten.«
Jetzt dämmert es mir. Auch wir waren zwar schon oft in diesen Läden, haben jedoch nur einmal im Schlussverkauf einen Gürtel für Nini dort gekauft. Gürtel und Taschen sowie andere ausgewählte Accessoires und Designer-Oberteile gibt es dort nämlich auch, alle superschick und schweineteuer, versteht sich. Und das ist also der Chef dieser Läden? Kein Wunder, dass er so stylisch aussieht. Attraktiv, aber auch ein bisschen arrogant.
»Franziska hat mir gar nicht gesagt, dass sie den näher kennt. Ich weiß nur, dass er sie mal gefragt hat, ob sie an einer Modenschau für ihn mitlaufen will. Darauf war sie unheimlich stolz und hat danach noch weniger gegessen.«
»Aber der ist doch einiges älter als sie?«, frage ich leicht irritiert.
»Kann schon sein, aber mit den Jungs in unserem Alter konnte sie noch nie etwas anfangen. Jedenfalls fand sie die blöd und kindisch«, sagt Nini schulterzuckend, während wir in den Saal hineingehen. Wir sitzen am Tisch mit Franziska und ihren Eltern und freuen uns über die vielen abwechslungsreichen Reden, vor allem der Schüler, das anspruchsvolle und unterhaltsame Rahmenprogramm und das leckere Buffet. Der einzige Wermutstropfen ist, dass ein richtiges Gespräch mit den Eltern von Franziska nicht recht in Gang kommen mag. Franziskas Mutter ist eine superdünne (Aha. Deshalb isst auch ihre Tochter nichts.) und leider ziemlich blasiert wirkende Dame, die in ihrem schwarzen Kleid und mit den herabhängenden Mundwinkeln etwas Depressives hat und sich nicht einmal von der guten Laune und der tollen Stimmung der jungen Leute um sie herum anstecken lässt. Sie scheint nicht einmal Lust zu haben, mit ihrem Mann zu sprechen, geschweige denn, mit uns allen diesen denkwürdigen Tag zu feiern. Als die Schüler zum letzten Mal ihre Zeugnisse überreicht bekommen, muss ich schlucken, um ein Tränchen zu verdrücken. Wie glücklich sie aussehen, so voller Erwartung und Hoffnung auf all das Neue in ihrem Leben.
»Sind Sie auch so stolz auf Ihre Tochter heute?«, frage ich Franziskas Mutter, während ich versuche, mit meinen mageren Fotokünsten diese denkwürdigen Momente für die Ewigkeit einzufangen.
»Na ja …«, gibt sie mit einem schmallippigen Lächeln und einem kurzen Seitenblick auf ihre Tochter zurück. »Stolz ist vielleicht zu viel gesagt. Gut, ja, sie hat ihr Abitur bestanden, aber der Abschluss hätte doch besser sein können. Damit wird sie es nicht weit bringen.«
Franziska, die diese Worte gehört hat, schaut betreten auf ihre schmalen Füße, die in wunderschönen silberfarbenen Riemchenpumps stecken und die ihr vermutlich ihr Freund Achim Klein aus seinem Laden geschenkt hat. Wie kann diese Frau nur solche Worte vor ihrer Tochter wählen, an ihrem Abend, der für die Kleine doch ein unvergesslicher werden soll. Ich bin empört. Und habe auf einmal gar keine Lust mehr auf eine Unterhaltung mit dieser Frau, sondern drehe ihr den Rücken zu und wende mich wieder den Schülern zu, die gerade auf der Bühne das Lied ›Time to say goodbye‹ anstimmen. Der Abend vergeht wie im Flug und endet in ausgelassener Stimmung auf der Tanzfläche. Nini und ihre Freunde wollen noch ein wenig weiterfeiern, doch ich bin todmüde
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