Wildrosengeheimnisse
angewiesen bist.«
»Ach, Mami, ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.«
In Ninis Augen glitzern Tränen. Sie ist überwältigt, das sehe ich.
»So was Tolles können wir uns doch eigentlich gar nicht leisten.«
»Doch. Leon hat einen Superpreis ausgehandelt.«
»Leon? Habe ich da irgendwas verpasst?«
»Nein, du hast nichts verpasst«, gebe ich zurück. »Wir haben uns ein paar Mal bei Emily im Krankenhaus getroffen und kamen ins Gespräch. Ich erzählte ihm, dass ich dir gern ein kleines Auto kaufen würde, und er bot an, mir behilflich zu sein. Das ist alles.«
»Wirklich?« Nini zieht fragend eine Augenbraue hoch. »Gar kein kleines bisschen Sex mit dem Ex?«
»Nini. Wo denkst du hin? Ich bin doch mit Christian zusammen«, sage ich entrüstet.
Im Moment habe ich überhaupt keinen Sex, weder mit dem Ex noch mit irgendjemandem sonst, denke ich.
»So, so. War aber länger nicht da, dein Christian, oder?«
»Willst du nicht eine kleine Probefahrt machen?«, schlage ich vor, um Nini abzulenken, und winke mit dem Autoschlüssel. »Aber denke daran: Schöööön vorsichtig fahren, nicht telefonieren am Steuer oder SMS schreiben oder so etwas, ja?«
Nini schnappt sich lächelnd den Autoschlüssel: »Keine Sorge, Mami, mein Leben ist mir wichtig, ich hab’ schließlich noch einiges vor damit. Und auf dieses Auto werde ich supergut aufpassen.«
Ich hole schnell den Fotoapparat und mache ein Foto von meiner hübschen Tochter in ihrem knallroten Auto, wie sie winkend die Seestraße entlangfährt. Dann ist es auch bereits wieder Zeit, sich an die Arbeit zu machen.
*
Am darauffolgenden Wochenende findet der große Abiball im Kursaal von Überlingen statt. Das Ereignis, worauf alle Schülerinnen und Schüler seit Wochen und Monaten hingearbeitet haben. Heute wird ihre Leistung belohnt und das viele Lernen hat endlich ein Ende. Bevor wir losfahren, nehme ich Nini beiseite und drücke ihr etwas in die Hand.
»Noch ein Geschenk, Mami? Du hast mir doch schon den Beetle gesponsert«, fragt sie verwundert.
Als sie es auswickelt, sehe ich Tränen in ihren Augen glitzern.
Es ist ein Fotoalbum, das ihre ganz persönliche Geschichte erzählt.
Nini sieht sich als Baby, als Kleinkind mit Schwimmflügeln im Freibad, an ihrem ersten Schultag mit der Zuckertüte und dem roten Schulranzen mit den kleinen weißen Hunden darauf. Bei den Hausaufgaben in der Küche und auf einer Fahrradtour mit mir in Salem. Bei der Omi im Garten. Beim Spielen mit ihren Barbie-Puppen. Unter dem Weihnachtsbaum mit der Blockflöte. Am Tag, als sie aufs Gymnasium kam, an ihrer Konfirmation in der Kirche. Mal mit mir, mal mit ihren Freundinnen, mal mit kurzen, mal mit langen Haaren.
»Ach, Mami …«, schnieft sie, »ich weiß nicht, was ich sagen soll.«
»Am besten nichts«, ich nehme sie in die Arme. »Meine Kleine, ich bin unheimlich stolz auf dich. Du bist so ein wunderbares Mädchen und jetzt hast du auch noch so ein tolles Abitur gemacht.«
»Jetzt hör aber auf. Sonst hab ich mich umsonst so lange geschminkt. Außerdem müssen wir los.« Sie hat recht. Wir sind schon spät dran, aber ich kann mir nicht helfen, heute Abend bin ich ganz fürchterlich sentimental.
Wie schnell ist doch die Zeit vergangen, seitdem sie ein kleines Mädchen war. Und nun ist sie bereits mit der Schule fertig und wird bald das Haus verlassen, um in einer anderen Stadt ein neues Leben anzufangen, ohne mich. Ob es allen Eltern am heutigen Abend so geht und sie wehmütig sind, dass ihre Kinder nun erwachsen sind und bald den ersten Schritt in ein eigenes Leben gehen werden? Ich bin ganz gerührt, als ich die zahlreichen hübschen jungen Mädchen und Männer sehe, die sich zur Feier des Tages alle ordentlich in Schale geworfen haben. Auch Nini und ich haben Stunden gebraucht, um uns herauszuputzen, und tragen die neuen Kleider von der Hochzeit meiner Mutter. Während wir vor dem Kursaal im Kurgarten mit den schönen großen Bäumen stehen und ein Gläschen Prosecco trinken, betrachten wir die vielen reizenden Abendkleider und Frisuren der Mädchen. Jede ist auf ihre eigene Weise die Schönste am heutigen Abend und alle, auch die jungen Männer in ihren ungewohnt eleganten Anzügen und Schuhen, sind stolz auf sich und strahlen nur so vor Glück. Am deutlichsten ist die Veränderung bei Franziska sichtbar, die gerade in einem traumhaften bodenlangen, eisblauen Chiffonkleid aus dem silbergrauen BMW-Cabriolet steigt, in dem ich sie vor Kurzem schon einmal gesehen
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